Aus einer ganz einfachen Familie kommt er, der Protagonist in Kaleytas Debüt-Roman. Er wächst auf in Nordrhein-Westfalen, die Eltern arbeiten in der Fabrik, er kann das Gymnasium besuchen, das Abitur machen, etwas werden im Leben. Und das hat er auch verdient, so ist seine Überzeugung. Womit, das ist nicht klar. Alles in seinem Leben ist bequem eingerichtet. Darum ist er auch ganz fassungslos, als Kohl 1998 plötzlich nicht mehr Kanzler ist. Es war doch alles gut! Wer will denn an solchen Umständen etwas ändern? Und weil das alles so gut ist, macht er sich auch wenig Gedanken über die Zukunft. Spontan entscheidet er sich nach der Schule für ein Studium, das aber auch nur, weil er sich in der Rolle des Studenten gefällt. Medizin soll es sein, kann es aber aufgrund des NCs nicht werden, also schreibt er sich für die zulassungsfreien Fächer Germanistik und Soziologie ein. Was er damit mal machen will, ist ja völlig egal.

Und so geht es weiter in seinem Leben. Er schummelt sich mal hier durch und mal da, landet mit viel Glück und keinerlei Verstand einen musikalischen Hit, kommt per Studienkredit nach Madrid und schnorrt sich ansonsten erfolgreich bei seinem reichen Freund, dem Kieferorthopäden-Sohn Sebastian durch. Nebenbei absolviert er zwei Studiengänge mit sehr guten Ergebnissen, das aber eben leider in den Geisteswissenschaften. Eine Sackgasse für jemanden, dem die guten Dinge sonst nur so in den Schoß fallen. In der freien Wirtschaft sieht er keine Chancen und das Leben als wissenschaftlicher Mitarbeiter erscheint ihm unerträglich langweilig. Vielleicht muss er doch dem guten Rat eines ehemaligen Professors folgen und reich heiraten?
Kaleyta hat mit Die Geschichte eines einfach Mannes einen Schelmenroman geschrieben über eine Hochstapler, dem man jeden Absturz gönnt. Mit einer beinahe unerträglichen Mischung aus Arroganz und Naivität geht er durchs Leben und kommt auf unglaubliche Art immer wieder damit durch, einfach nichts zu machen und dafür alles zu erwarten. Anstrengungen fordert er gerne, natürlich aber nur von den anderen. Es ist bemerkenswert, wie unsympathisch Kaleyta diese Figur geschaffen hat, die so unverkennbare Parallelen zu seinem eigenen Leben hat. Vielleicht kann man ihm aber deshalb auch immer nur halb böse sein. Von Anfang an ist deutlich, dass der Protagonist ein völlig verzerrtes Bild von sich und seinen Ansprüchen hat, ohne dass ihm das selber jemals auch nur im Ansatz klar wird. Allein deshalb sind auch seine Erzählungen selbstverständlich immer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen.
„Ich bin der lebende Beweis dafür, dass das Leben ein Geschenk ist, ein fröhliches Spiel, das alles erlaubt und kein Weg versperrt ist.“
Am Ende ist es aber das heimliche Hoffen auf den vernichtenden Schlag, der einen bei diesem Roman bei der Stange hält. Man will nicht wissen, wie es ausgeht, man will sich vergewissern, dass es möglichst schlecht ausgeht. Der Stil des Romans wirkt mitunter etwas antiquiert, was Erinnerungen weckt an andere Geschichten von jungen Männern, die sich so durchmogeln, an Felix Krull und an den Taugenichts. Ganz neu ist die Geschichte also nicht, die Erzählweise ist recht konventionell und der Hauptcharakter hoffnungslos überzeichnet. Dennoch ist der Roman nicht ohne Charme und der liegt vor allem in seiner Unverschämtheit. Und in den vielen, vielen Seitenhieben gegen die Geisteswissenschaften und das akademische Umfeld, in dem sie existieren. Die Geschichte eines einfachen Mannes ist, ganz gemäß ihres Titels, kein großer literarischer Wurf, aber dennoch eine unterhaltsame und hinterlistige Lektüre.
tl;dr: Auf beinahe unverschämte Art erzählt Kaleyta in seinem Debüt von einem Mann, der irgendwie nach oben will, ohne zu wissen, was er da machen will und der auch nicht bereit ist, dafür irgendwelche Lasten auf sich zu nehmen. Ganz in Hochstapler-Roman-Tradition erzählt ein unterhaltsamer Roman mit einem gewissen Maß Boshaftigkeit.
Timon Karl Kaleyta: Die Geschichte eines einfache Mannes. Piper 2021. Gehört als Hörbuch, gelesen von Christoph Gawenda.
Das Zitat stammt aus Track 34 von 159.
Was hat er mich genervt! 😉 aber ich mochte, wie konsequent der Autor seine Sache durchgezogen hat und fand es in seiner Überzogenheit teils ziemlich witzig.
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So ging es mir tatsächlich auch. Ein unglaublich nerviger Typ, aber man kann ihn wirklich auch nur als überzogene Figur lesen. Ohne das funktioniert der Roman nicht.
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Stimmt!
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