Cathal Flood macht es sich und anderen nicht leicht. Ein Mann von beeindruckender Statur und – wenn er will – charmantem Auftreten war er einst ein begnadeter Künstler. Nun lebt er alleine in seinem großzügigen Anwesen Bridlemere im Westen Londons, das vor lauter Krempel aus allen Nähten platzt. Im Garten stapelt sich der Schrott, im Erdgeschoss kann man kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen und das Obergeschoss kann man gar nicht erst betreten, weil eine gigantische Wand alter National Geographic-Ausgaben den Zugang blockiert.
In dieses Chaos marschiert nun Maud. Sie ist damit beauftragt, den alten Mann und sein Haus auf Vordermann zu bringen. Keine ungefährliche Aufgabe – den letzten, der das versucht hat, hat Cathal mit einem Hurling-Schläger in die Flucht geschlagen. Doch Maud ist nicht gewillt, so schnell aufzugeben. Und sie hat sich Unterstützung mitgebracht: Maud weiß sich in der Gesellschaft von Heiligen. Sie warten auf sie an der Bushaltestelle, sitzen mit am Küchentisch, haben immer die besten Ratschläge parat und warnen, wenn Gefahr droht. Maud kennt sie alle und hat so Unterstützung in jeder denkbaren Lebenslage. Und wo die Heiligen nicht helfen können, gibt es ihre Nachbarin und Freundin Renata. Die hat zwar seit etlichen Jahren das Haus nicht mehr verlassen, weiß sich und Maud aber trotzdem aus jeder Patsche zu helfen und hat dank jahrelangem Krimi-Konsum eine ausgeprägte Spürnase. Die wird sie auch brauchen, denn Maud beginnt schnell zu ahnen, dass sich hinter Cathals schroffer Fassade nicht etwa ein weicher Kern, sondern ein kaltblütiger Mörder verbirgt. Sie hat ihn im Verdacht, nicht nur seine Frau umgebracht zu haben, sondern auch ein Mädchen, das vor Jahrzehnten vermisst gemeldet wurde und nie wieder aufgetaucht ist.
Leichen sind wie Steine, Maud. Sie wollen gefunden werden. Da kannst du jeden Farmer fragen, und er wird es dir bestätigen. Steine kommen immer an die Oberfläche.
S. 99
Der Fall des verschwundenen Mädchens schlägt in Maud auch eine ganz persönliche Seite an. Vor Jahren ist ihre eigene Schwester verschwunden, während Maud in den Dünen auf sie gewartet hat. Nur ihre Handtasche, auf die Maud so neidisch war, konnte man noch finden. Es konnte nie geklärt werden, was damals passiert ist, aber es vergeht kaum ein Tag, an dem Maud nicht darüber grübelt.
Erschwert werden ihre Ermittlungsversuche nicht nur durch Mr. Flood, sondern auch durch seinen Sohn Gabriel, der hin und wieder auftaucht und offenbar ganz eigene Pläne verfolgt, die er um keinen Preis verraten will. Und dann ist da auch noch ein Fuchs, der Maud auf eine Fährte locken will und diverse Zeichen mehr oder weniger wohlmeinender Geister, die Maud in ihrem schrecklichen Verdacht bestärken.
Ohne die übersinnliche Unterstützung wäre Heilige und andere Tote ein sehr durchschnittlicher Roman über eine resolute Sozialarbeiterin und ihren renitenten, aber irgendwie doch liebenswerten Klienten. Auch der vermutete Kriminalfall ist nicht besonders raffiniert. Was den Roman besonders macht, ist Kidds überbordende Fantasie und der ausgesprochen humorvolle Ton der Geschichte. Besonders Cathal legt eine ungeheure Schnoddrigkeit an den Tag und trägt gemeinsam mit der sehr originellen Renata die Geschichte über die Austauschbarkeit hinweg. Auch wenn das Ende ein bisschen plötzlich kommt, ist Heilige und andere Tote ein sehr lesenswerter Roman mit einem ganz eigenen Ton und unverwechselbaren Charakteren.
tl;dr: Sozialassistentin Maud wittert im Anwesen ihres neusten Klienten grausame Verbrechen. Mit der Unterstützung einer Freundin und diverser Heiliger macht sie sich auf Spurensuche. Als Krimi ist der Roman nur bedingt überzeugend, dank seiner liebenswürdigen Charaktere und dem sehr eigenen Ton aber durchaus unterhaltsam und lesenswert.
Jess Kidd: Heilige und andere Tote. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. DuMont 2018, 381 Seiten. Originalausgabe: The Hoarder. Canongate 2018.
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