Isma, Aneeka und Parvaiz Pasha sind noch jung, als ihre Mutter stirbt. Ihren Vater haben sie kaum gekannt. Er war Jiihadist, hat lange im Ausland gekämpft und ist schließlich auf dem Weg nach Guantanamo gestorben. Also ist es an Isma, die jüngeren Geschwister großzuziehen. Die Zwillinge Aneeka und Parvaiz sind von ihrer Kindheit an unzertrennlich und kaum eine Minute getrennt. Trotzdem merkt Aneeka zu spät, dass ihr Bruder drauf und dran ist, den gleichen gefährlichen Weg einzuschlagen wie sein Vater.
Die zweite wichtige Familie im Roman ist die des britischen Innenministers Karamat Lone. Selbst Moslem, führt er eine harten Kampf gegen religiöse Hardliner und fordert von den britischen Muslimen, möglichst angepasst zu leben. Damit spielt er auch eine große Rolle im Leben der Familie Pasha. Er weigert sich, Untersuchungen anstellen zu lassen, was mit dem Vater der Familie passiert ist, obwohl er britischer Staatsbürger war. Und er entzieht, wo immer möglich, jedem die Staatsbürgerschaft, der sich des Terrorismus verdächtig macht. Das trifft Parvaiz und seine Schwestern hart. Denn Parvaiz, der von einer Karriere in der Tontechnik träumt, lässt sich tatsächlich bequatschen, als Teil eines vermeintlich harmlosen „Medienteams“ nach Ar-Raqqa zu gehen. Die Schwestern, und besonders Aneeka, haben aber einen ganz eigenen Weg gefunden, den Innenminister unter Druck zu setzen. Und dieser Weg geht über seinen Sohn Eamonn.
„The world was dark and then there you were, blazing with light. How can anyone fail to love hope?“
Beiden Familien ist gemein, dass sie sehr oft anti-muslimische Resentiments erfahren. Die Kinder eines getöteten Jihadisten, gelistet in jeder internationalen Datenbank, überwacht und an jedem Flughafen verhört, natürlich mehr als der Innenminister Großbritanniens, der in eine „gute (weiße) Familie“ einheiraten konnte. Wie so oft bei Kamila Shamsie ist auch in Home Fire das Private sehr politisch. Eamonns Verbindung mit Aneeka, der Tochter eines Jihadisten, sorgt erst für eine ganz private Krise in der Familie Lone und dann für einen mittelgroßen Politskandal. Lone steht schon bald vor der Frage, ob für seinen Sohn die gleichen Gesetze gelten sollen wie für jeden anderen britischen Bürger auch. Und vor der Frage, wie lange er für seine Überzeugungen im Gästezimmer schlafen will, in das ihn seine Frau vorerst verbannt hat.
Und wie so oft bei Kamila Shamsie verliert der Roman irgendwann seine klare Linie. Home Fire lehnt sich gewollt und deutlich an Antigone an, was über weitere Strecken gut funktioniert. Wie so viele Adaptionen klassischer Werke krankt aber auch diese an der eingeschränkten Übertragbarkeit der Geschichte. Der erste Teil des Romans, geschildert schwerpunktmäßig jeweils aus der Perspektive einer der drei Geschwister, funktioniert sehr gut. Auch die Idee, einen muslimischen Innenminister in Großbritannien einzusetzen, ist ein sehr interessantes und gelungenes Gedankenexperiment. Im letzten Drittel aber driftet der Roman dann so sehr in die griechische Tragödie ab, dass er deutlich an Glaubhaftigkeit verliert. Während man in der Tragödie noch alles mit dem Tun der Götter erklären kann, wirken scheinbar willentlich heraufbeschworene Sandstürme im modernen Karachi doch etwas gekünstelt. Den antik inspirierten Ausgang hätte dieser Roman, der sonst so aktuell und auch tragisch genug ist, gar nicht gebraucht.
tl;dr: Starker Start, schwächeres Finish – Shamsie verlegt die Handlung von „Antigone“ in eine britisch-muslimische Familie und verliert unterwegs leider an Drive und Linie.
Kamila Shamsie: Home Fire. Bloomsbury 2018. 264 Seiten. Originalausgabe ebd. 2018. Eine deutsche Übersetzung von Nicolas Hansen ist unter dem Titel Hausbrand im Berlin Verlag erschienen.
Das Zitat stammt von S. 97.
Kamila Shamsie hat mit diesem Roman 2018 den Women’s Prize for Fiction gewonnen. Dieser Beitrag ist Teil des wpf-Leseprojekts.