Zwischen Quantität und Qualität: „Bestseller“ von Jörg Magenau

In Bestseller geht der Germanist und Redakteur Jörg Magenau einem wohlbekannten Phänomen nach und versucht zu ergründen, warum Bestseller zu Bestsellern werden. Dabei ist er nicht auf der Suche nach einer Geheimformel, nach der Bestseller konstruiert und vorhergesehen werden können. Vielmehr betrachtet er die Bücher, die seit Gründung der Bundesrepublik im Fokus des öffentlichen Interesses standen und versucht, diese in ihre zeitgeschichtlichen Kontexte einzuordnen.

„Wer Bestseller kauft, kauft damit nicht einfach bloß ein Buch, sondern auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und das Gefühl, ganz dicht am Puls der Zeit zu sein.“

Dabei geht er nicht streng chronologisch, sondern nach Themen sortiert vor. Er betrachtet den Boom von Ratgebern der Kategorie Sorge dich nicht, lebe!, die Erfolgswelle von Naturbüchern, die mit Peter Wohlleben ihren Anfang fand, und den großen Erfolg von Fantasyromanen wie Die unendliche Geschichte in den 80er-Jahren. Viele Bücher brauchten dabei durchaus einigen Anlauf und brachten es erst Jahre nach Erscheinen zum Verkaufsschlager. Aber wer einmal auf der Liste steht, bleibt meistens auch lange drauf – die Platzierung gilt vielen eben nicht nur als Aussage über Verkaufszahlen, sondern auch als Empfehlung. Bei einigen Titeln, besonders prominent bei Finis Germania, führte das auch zu größerem Unmut und Diskussionen.

Neben diesen Phänomenen befasst der Autor sich auch mit dem Entstehen von Bestseller-Listen und dem Verdacht der Minderwertigkeit, unter der derartige Listen und die dort genannten Titel von Beginn an standen: Was Massengeschmack ist, kann ja nichts sein. Als diese Listen noch neu waren, war es manchen Verlagen fast unangenehm, wenn ihre Titel dort auftauchten. Auch Buchhandlungen mit anspruchsvollem Sortiment weigerten sich, den verbrieften Verkaufserfolg als Werbeargument zu nutzen. Dabei wurden die Erhebungsverfahren immer professioneller und aufwendiger: Angefangen bei „gefühlten“ Verkaufszahlen nur weniger Buchhändler*innen, hin zu bombensicher direkt an der Kasse erfassten Verkaufsvorgängen in repräsentativ ausgesuchten Buchhandlungen, haben die großen Bestsellerlisten sich zu einer festen Größe gemausert. Und dass Qualität und Quantität sich natürlich nicht ausschließen, ist zur Erleichterung vieler Verlage in der Zwischenzeit ja auch hinreichend oft bewiesen worden. Mittlerweile zahlen sie sogar bereitwillig Lizenzgebühren, um den entsprechenden Sticker auf ihre Cover kleben zu dürfen.

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Der Ansatz des Buchs ist sehr interessant und Magenau stützt sich bei seinen Ausführungen auf vielfältige und verlässliche Quellen. Etwas befremdlich liest es sich allerdings, wenn der 1961 geborene Autor „wir“ sagt und damit die Bundesdeutschen (bzw. die Lesenden unter ihnen) in den 50er-Jahren meint. Es ist völlig klar, dass er damit eine allgemeine bundesdeutsche Befindlichkeit ausdrücken will, das „wir“ gerät dann aber doch sehr inklusiv und umfassend. In einigen Kapiteln hält er seine eigene Meinung nicht zurück, obwohl dort eher neutrale Analyse angebracht wäre und die weiteren Ausschweifungen zum Thema störend wirken. Auch eine gewisse Redundanz zieht sich durch die Kapitel, die auch vielleicht gar nicht vermeidbar ist – am Ende sind es ja doch oft ähnliche Mechanismen, die hinter dem Erfolg eines Buchs stehen.

Die Bücher, die gerade hoch im Kurs stehen, bieten einen interessanten Blick darauf, was die Menschen bewegt und welche Themen aktuell sind. Bücher können Themen vertiefen oder im Gegenteil zur Flucht aus der hoffnungslosen Realität verhelfen. Besonders retrospektiv lassen sich da durchaus spannende Strömungen und Cluster feststellen, die einen Hinweis auf die aktuelle Mentalität zulassen. Magenau legt das überzeugend dar, lässt sich aber manchmal zu sehr zum Plaudern verleiten, was die Lektüre etwas zäh werden lässt.


Jörg Magenau: Bestseller. Bücher, die wir liebten – und was sie über uns verraten. Hoffmann und Campe 2018. 286 Seiten.

Das Zitat stammt von S. 70.

Ein Gedanke zu “Zwischen Quantität und Qualität: „Bestseller“ von Jörg Magenau

  1. dagmaregeroffel 27. August 2020 / 8:12

    Danke Marion, das bestelle ich mir direkt, Jörg Magenaus Schreibe als Biograph hat mir auch immer sehr gut gefallen.
    LG
    Dagmar

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