Es kriecht und krabbelt zwischen den Seiten – der Bücherwurm und seine hungrigen Geschwister

Als Bücherwürmer werden ja gemeinhin die Menschen bezeichnet, die sich hartnäckig und systematisch durch ein Buch nach dem anderen fräsen. In zahlreichen Cartoons wird der Bücherwurm als possierliches, bebrilltes Kerlchen dargestellt, fröhlich winkend aus dem gerade zerstörten Werk. Aber gibt es das wirklich? Schädlinge, die sich durch ganze Regalmeter fressen, eine tunnelförmige Spur der Verwüstung hinterlassend? Einen hochspezialisierten Bücherwurm findet man nicht in der Welt der mitunter lästigen Kleintiere, dafür aber diverse andere Tiere, die durchaus Interesse an gepresster Zellulose, Leim und Leder haben. Niedlich sind sie meistens nicht und der angerichtete Schaden reicht von lästig bis immens, besonders bei größeren und nicht ersetzbaren Bücherbeständen.

Der Bücherwurm

Wie schon gesagt – einen hochspezialisierten Bücherwurm hat die Evolution in der recht kurzen Zeit seit Erfindung des Buchdrucks und der massenhaften Verbreitung von Druckwerken nicht hervorgebracht. Dennoch lassen sich mitunter wurmförmige Lebewesen zwischen den Seiten eines Buches finden. Dabei handelt es sich meist um Larven von Klopfkäfern. In Deutschland besonders häufig anzutreffen ist der 3 mm große Brotkäfer Stegobium paniceum. Der ist sonst auf trockene Lebensmittel und pulverartige Substanzen spezialisiert und im englischen als „drug store beetle“ bekannt.

Brotkaefer
Der Brotkäfer. So sieht einer der gefürchtetsten Bücherschädlinge aus. Bild: Siga – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Aber auch vor anderen brauchbaren Brut- und Lebensräumen macht er nicht Halt. In einigen Gegenden ist der Käfer auch tatsächlich als „Bücherwurm“ bekannt, so hoch ist seine Affinität zum geistigen Gut. Dabei kann der Schaden immens werden. Im Augsburger Stadtarchiv beispielsweise sind inzwischen mehr als 200.000 Schriften durch den Käfer geschädigt worden. Eine Veränderung des Raumklimas hin zu für den Käfer ungünstigen Bedingungen ist möglich, aber extrem aufwendig und teuer. In Augsburg versucht man nun, der Lage mit dem Ausbringen der winzigen Lagererzwespe als Fressfeindin Herr zu werden.

Auch einige andere Käfer, die sonst vor allem Holz befallen, interessieren sich für Papier, das ja am Ende auch nur eine Weiterverarbeitung ihres bevorzugten Habitats ist. Dabei ist es aber immer nur zweite Wahl. Gelegentlich lassen sich also auch die als Holzwurm bekannten Larven des Gewöhnlichen Nagekäfers Anobium punctatum zwischen den Seiten entdecken. Das Tempo, mit dem der Nachwuchs sich durch Holz und Papier fräsen kann, ist dabei durchaus beeindruckend. Die Spuren, die sie hinterlassen, ähneln denen, die man von befallenem Holz kennt.

Frassspuren
Fraßspuren von Käferlarven. Bild: Lieven – Own work, CC BY-SA 4.0

Die Bücherlaus

Die Bücherläuse Liposcelis sind eine Gattung der Staubläuse. Wie diese Zugehörigkeit schon erahnen lässt, interessieren diese Läuse sich nicht primär für Bücher und Papier, sondern leben einfach überall da, wo es genug Dreck gibt und sie ungestört leben können. Sie sind extrem weit verbreitet und in fast jedem Haushalt anzutreffen. In häufig genutzten Büchern und Papierstapeln fallen sie beim Blättern schnell auf, grundsätzlich leben sie aber überall gerne, wo es relativ warm und feucht ist. Das Papier rühren sie normalerweise nicht an, viel lieber ernähren sie sich von Schimmelsporen zwischen den Seiten.

Buchlaus
Die Buchlaus. Bild: S.E. Thorpe – Self-photographed, Public Domain

Auch wenn ein Befall mit Bücherläusen sicher nicht schön ist, ist er immerhin nicht gefährlich. Die Läuse saugen, anders als ihr Name vermuten lässt, kein Blut und springen weder auf Haustiere noch Menschen über. Auch von Schäden an Papier und Bindung ist bisher nicht berichtet worden. Bei stärkerem Befall ist das aber wohl auch nur ein schwacher Trost.

Die Milbe

Das Tolle an Milben ist ja, dass sie fast überall und unter allen Bedingungen und von fast allem leben können. Staub, Leder, Leim und Schimmel finden bei ihnen auch großen Anklang, womit sie in Büchern ein reiches Nahungsangebot finden. Eine auf Papier spezialisierte Art gibt es trotz vieler Gerüchte aber nicht. Dennoch sind die kleinen Spinnentiere des öfteren in Büchern zu finden, besonders, wenn diese lange Zeit eingelagert waren. Bei dem ein oder anderen Dachbodenfunden krabbelt es da schon mal beim ersten Aufschlagen. Für Allergiker*innen ist das schnell unangenehm, alle anderen haben von den meisten Milben aber nichts zu fürchten. Von den größeren Raubmilben kann man vielleicht sogar profitieren, denn sie halten eine mögliche Papierlaus-Population klein.

Die Motte

Ähnlich wie Milben sind auch Motten hinreißend anpassungsfähig und einfallsreich. Wer schon mal einen Mehlmotten-Befall in den Griff kriegen musste, weiß das. In allen Haushalten tauchen früher oder später Motten auf, die es auf Lebensmittel oder Kleidung abgesehen haben und ihre Brut auch in den kleinsten und verstecktesten Ritzen ablegen. Die Larven dieser Arten sind in aller Regel wenig spezialisiert und fressen alles, was sich zersetzen lässt, darunter eben auch Zellulose. Ein ausgeprägter Befall von Büchern ist allerdings selten, da sie in den meisten Haushalten bessere Alternativen vorfinden. Dennoch habe ich mal eine verliehene Ausgabe von Thomas Manns Kurzgeschichten mit so vielen verpuppten Larven darin zurückbekommen, dass ich dann doch in eine neue Ausgabe investiert habe.

Das Papierfischchen

Papierfischchen sehen auf den ersten Blick aus wie Silberfischchen – und auch auf den zweiten. Die wuseligen Tiere sind für Ungeübte fast nur an ihrer Farbe zu unterscheiden und sind in Europa erst seit den späten 1980ern beschrieben. In den Niederlanden sind sie in Bibliotheken und Archiven bereits ein großes Problem. Misstrauisch sollte man werden, wenn man vermeintliche Silberfischchen an trockenen Stellen und erst recht im Bücherregal findet. Die Papierfischchen spalten Zellulose und leben von den dabei entstehenden Zuckern. Sie bohren zwar keine Löcher, fressen aber die Oberflächen sehr effizient an und ab. Der Schaden, der dabei in industriellen Papierlagern, Bibliotheken oder Archiven entstehen kann, ist immens. In Privathaushalten finden die kleinen Tiere meist weniger ideale Bedingungen vor, können sich aber an ungestörten Orten auch rasch ausbreiten.

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Dieses beeindruckende Werk einer Papierfischchen-Population hat @buchbube festgehalten und erlaubt mir freundlicherweise, es hier mit euch zu teilen.

Der Bücherskorpion

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Ein Bücherskorpion. Bild: CC BY-SA 3.0

Als Jäger im Regal macht sich der Pseudoskorpion Chelifer cancroides nützlich. Er kann bis zu 4,5 mm groß werden und hat lange Scheren, mit denen er seine Beute greift und tötet. Für Menschen allerdings ist er völlig ungefährlich, da er keinen Giftstachel besitzt und seine Scheren die menschliche Haut nicht verletzen können. Er ist im Dunkeln aktiv und hat es vor allem auf Milben und Läuse abgesehen. Das ist ganz praktisch, allerdings können seine Ausscheidungen die Bücher verunreinigen.

Der Bücherskorpion schützt übrigens nicht nur Bücher, sondern hilft auch Bienenvölkern: er ist einer der größten Fressfeinde der von Imker*innen gefürchteten Varroamilbe.

Und wie wird man die ungebeten Gäste wieder los?

Tja, leider ist das nicht so leicht. Beim Befall durch Brot- und andere Käfer hilft das, was auch bei Mehlmotten hilft: Quelle ausfindig machen und entsorgen, alles ausräumen, angucken, abwischen, absaugen, wieder einräumen und hoffen, dass es das war. Das ist ein schöner Sonntag-Nachmittag.

Sind Bücher von Läusen oder Milben befallen, kann man diese in eine Plastiktüte verpackt ein paar Tage lang einfrieren. Bei Bedarf wiederholt kann man damit begrenzte Populationen ganz gut in den Griff kriegen. Papierfischchen fühlen sich vor allem da wohl, wo sie ungestört im Dunkeln hausen können. Da hilft also nur Licht an und lesen, lesen, lesen (oder eine Klebefalle).

Wer sehr hohe Decken und vielleicht sogar eine offene Balkenlage hat, kann alternativ versuchen, Fledermäuse anzusiedeln. In der Bibliothek der portugiesischen Universität Coimbra hat man damit gute Erfahrungen gemacht. Kleiner Nachteil: jeden Abend müssen die Tische abgedeckt werden und am Morgen müssen die darauf gesammelten Hinterlassenschaften der Jäger der Nacht entsorgt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Frühschicht beim Bibliothekspersonal eher weniger nachgefragt ist.

Nachtrag August 2021:

Eher ein Randphänomen ist wohl betroffenes Papier im Outdoor-Bereich. Abseits von Bücherschränken dürfte das für die meisten Leser*innen nicht sehr relevant sein. Was allerdings eine Nacktschnecke mit übers Wochenende im Briefkasten liegender Post anstellen kann, ist schon bemerkenswert. Und ein bisschen eklig.

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7 Gedanken zu “Es kriecht und krabbelt zwischen den Seiten – der Bücherwurm und seine hungrigen Geschwister”

    1. Ich bin mir nicht mal so sicher, ob ich den nicht auf den ersten Blick für eine Spinne halten würde. So oder so – meine Freude wäre auch stark eingeschränkt.

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  1. Danke, für diesen ganz wunderbaren und informativen Artikel. Habe ihn gleich weiterempfohlen und beim nächsten reinigen der Bücherregale mal darauf achten, ob es kreucht und fleucht. Denn bis jetzt waren es nur Wollmäuse und vertrocknete Schuster die ich gefunden habe.

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    1. Bisher bin ich zum Glück auch weitestgehend verschont geblieben, obwohl ich regelmäßig gebrauchte Bücher kaufe. Nach meiner Recherche denke ich nun aber ernsthaft über eine Quarantäne-Regelung nach.

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  2. Wenig praktikabel. Gibt es keine chemischen Produkte, um dem Problem abzuhelfen?

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    1. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich nehme aber an, wenn es eine Lösung gäbe, die dem Papier nicht schadet und die Insekten zuverlässig vernichtet, würden betroffene Bibliotheken und Archive sie nutzen. Lagererzwespen ist sicher nicht das erste, was man probiert. Die Schädlinge fressen ja vor allem Papier, das kann man kaum mit Chemikalien behandeln, ohne es zu beschädigen. Vor allem, wenn es um sehr alte Schriften geht, die ohnehin empfindlich sind. Holz würde man ja z. B. begasen, um Käfer loszuwerden. Möglicherweise gibt es Licht- oder Pheromonfallen? Da wissen Schädlingsbekämpfer sicher mehr.

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