Das erste Mal bereiste Mary Shelley Deutschland, als sie mit ihrem zukünftigen Mann Percey Shelley in Richtung Schweiz durchbrannte. Das war im Sommer 1814. Die Fahrt entlang des Rheins findet später ihren Niederschlag in der Reise, die Victor Frankenstein in umgekehrter Richtung von der Schweiz nach England unternimmt. Selbst sein Name stammt von einer Burg, die Shelley auf ihrer Reise besichtigte. Der Reisebericht dieser ersten Reise fällt allerdings ausgesprochen knapp aus. Das änderte sich, als sie Deutschland anlässlich zweier Italienreisen in den Jahren 1840 und 1842 erneut besuchte. Das eine Mal war das eigentliche Ziel der Comer See, das zweite Mal sollte es in die Toskana gehen.
Beide Male verlief die Reise nicht auf dem direktesten Weg. 1840 reiste Shelley in Begleitung ihres Sohnes und einiger seiner Freunde über Mainz, Frankfurt, Darmstadt, Heidelberg und den Schwarzwald in Richtung Süden. Bei der zweiten Reise führte der Weg über einen noch weiteren Umweg. Nach einem vierwöchigen Aufenthalt in Bad Kissingen, der vor allem Shelleys Gesundheit geschuldet war, reiste die Gesellschaft weiter nach Leipzig, Dresden und Berlin, wo Shelley sich intensiv mit den jeweiligen Kunstgalerien befasste. Über diese beiden Reisen berichtet sie ausführlich in Form von Briefen, die 1844 unter dem Titel Rambles in Germany and Italy, in 1840, 1842, and 1843 erschienen. Auf Deutsch sind diese Texte bisher nicht erschienen. Michael Klein hat nun zumindest die Texte, die sich mit Deutschland und Preußen befassen, zusammengestellt und übersetzt.
Das Ergebnis liest sich wirklich sehr witzig und charmant. Shelley ist eine neugierige und staunende Reisende, die ihrer Umgebung mit großer Offenheit und Beobachtungssinn begegnet. Sie mokiert sich unendlich über die Unfähigkeit der Deutschen, eine ordentliche Rasenfläche anzulegen und stört sich daran, dass überall geraucht wird. Gegenüber den englischen Sitten scheint das deutsche Volk ihr insgesamt recht roh und ungehobelt zu sein. Zugleich aber bewundert sie die deutsche Kultur, die Gemäldesammlungen und die Opern. Angesichts einiger Kunstwerke gerät sie gleich seitenweise ins Schwärmen. Und auch wenn die deutsche Küche sie nicht immer begeistern kann – von Bratkartoffeln kriegt sie nie genug.
„Die Sitte des Rauchens ist eine Beeinträchtigung, aber ein bisschen Ärgernis ist notwendig, um die Toleranz und die Geduld des Reisenden zu kultivieren.“
Shelleys Reiseberichte sind Zeugnis einer Zeit, in der Reisen noch ganz anders funktionierte. Mehrere Monate Anreise ans eigentliche Ziel waren keine Seltenheit und Kutschenfahrten, die sich über mehrere Tage zogen, waren sicher unbequem, aber kein Hindernis. „Der Weg ist das Ziel“ war das altbekannte Motto. Statt vorgebuchter Pauschalreisen mieteten die Reisegesellschaften vor Ort Boote, um den Fluss zu bereisen und suchten sich Zimmer in Gasthäuser. Und wenn man mal zwei Tage später weiterkam als geplant – auch nicht so wild. Shelleys Reiseberichte schwärmen von deutschen Landschaften, die man vielleicht selbst nicht kennt und machen Lust, sie mal zu besuchen. Und vor allem machen sie Lust, so ziellos, entspannt und flexibel zu reisen, wie sie es tat.
tl;dr: Mary Shelley reiste mehrfach durch Deutschland und hat darüber sehr charmante, kluge und witzige Reiseberichte geschrieben, die jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienen sind.
Mary Shelley: Streifzüge durch Deutschland. Reiseberichte. Ausgewählt, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Michael Klein. Morio Verlag 2018. 197 Seiten. Die englischen Texte erschienen erstmals 1844 in Rambles in Germany and Italy, in 1840, 1842, and 1843. Leider scheinen diese Texte gerade in keiner brauchbaren Ausgabe lieferbar zu sein, der Text ist aber gemeinfrei und u. a. bei Google Books verfügbar.
Das Zitat stammt von S. 46.
Ich danke dem Verlag für das Leseexemplar.
Ein Gedanke zu “Bratkartoffeln und der Rhein – „Streifzüge durch Deutschland“ von Mary Wollestonecraft Shelley”
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