Mit dem Tod einer Hexe beginnt Melchors Roman, der im abgeschiedenen mexikanischen Dorf La Matosa inmitten von Zuckerrohrplantagen und Armut spielt. Ihre Leiche wird in einem Entwässerungsgraben gefunden, so spät, dass man sie kaum noch identifizieren kann. Den Stoff für ihren Roman hat die Autorin in den Nachrichten gefunden und dafür hat sie wahrscheinlich nicht lange suchen müssen. Die Gewalt, die Melchor in ihrem Roman schildert, richtet sich primär gegen Frauen. Die ist in Mexiko so allgegenwärtig wie in nur wenigen anderen Ländern der Welt. Empfindlich darf man nicht sein für diesen Text – die Sprache ist roh, die Taten noch roher.
Das Leben in La Matosa ist von Perspektivlosigkeit geprägt. Die Jungen und Männer schlagen ihre Zeit im Park oder der Kneipe tot, trinken, koksen, schlafen bis weit in den Tag hinein. Arbeit gibt es kaum im Ort, nur hier und da lässt sich ein bisschen Geld mit Gelegenheitsjobs verdienen. Das Geld verdienen die Frauen, meistens mit Prostitution. Das geht ganz gut in diesem Ort, der an einer wichtigen und viel frequentierten Fernstraße liegt. Gewalterfahrungen haben sie alle gemacht: In der Familie, in der Ehe, bei der Arbeit. Mit am schlimmsten trifft es die Hexe, die in einem heruntergekommenen Haus am Rande der Plantagen lebt. Als Heilkundige wird sie oft von den Frauen des Dorfes besucht, dabei aber ebenso verachtet wie gefürchtet. Sie weiß von jedem Liebeszauber und von jeder Abtreibung. Die Tränke für die Frauen braut sie in ihrer Küche, in ihrem Keller feiert sie mit den Männern, die selbst oft nicht wissen, was sie von ihr halten sollen.
„Sollte sie einmal einen anderen Namen gehabt haben, vielleicht festgehalten auf einem zerknitterten, wurmstichigen Zettel, von der Alten in einen der Schränke, zwischen Tüten, schmutzstarrende Lumpen, ausgerissene Haarbüschel, Knochen und Essensreste gestopft; sollte sie einmal Vor- und Nachnamen besessen haben wie die übrigen Dorfbewohner, so hat niemand jemals davon erfahren, nicht einmal die Frauen, die freitags ins Haus kamen, hatten je gehört, dass die Alte sie anders gerufen hätte.“
Die Geschichte ist geprägt von äußerster Grausamkeit und einer sehr drastischen Sprache, die an etlichen Stellen hart ins Vulgäre kippt. Das unterstreicht im Grunde nur die ohnehin schon furchtbare Atmosphäre des Romans, wird aber sich nicht jeden Geschmack treffen. Wer zartbesaitet ist wird aber ohnehin wenig Gefallen an diesem Roman finden. Melchor schreibt in langen, atemlosen Sätzen, die einen schnell hineinziehen in ihre Geschichte. Im Grunde klärt sie nur den Mord an der Hexe auf, doch der ist so eng mit anderen Ereignissen verbunden, dass auch sie erzählt werden müssen. Und so geht es um Familien, Liebe, Abhängigkeiten, Vergewaltigungen, Aberglaube und schwarze Magie, um Koks, Bier, Drogenkämpfe und Prostitution.
Saison der Wirbelstürme ist ein Roman einer Gesellschaft, die geprägt ist von Perspektivlosigkeit, Armut und Gewalt, vor allem gegen Frauen. Wie es eben so ist in dieser Saison wird die Atmosphäre immer dichter, geladener unruhiger und unerträglicher, bis am Ende der erlösende Regen alles auflöst. Fürs erste zumindest.
Fernanda Melchor: Saison der Wirbelstürme. Übersetzt aus dem mexikanischen Spanisch von Angelica Ammar. Wagenbach 2019. 256 Seiten, Printausgabe €22,-. Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Temporada de huracanes bei Penguin Random House Mexico.
Das Zitat stammt von S. 11.
Ich danke dem Verlag für das Leseexemplar.