Das Ölgemälde als Jungbrunnen – „The Picture of Dorian Gray“ von Oscar Wilde

„Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen!“ (Oscar Wilde)

Die Regel ist einfach: keine Zitatsammlung ohne Oscar Wilde, der scheinbar zu allem was zu sagen hatte. Selbstverständlich sind 99,8% davon nichts, was Wilde selbst gesagt hätte, sondern Sätze, die er Figuren aus seinen Werken in den Mund gelegt hat. Einer, der besonders viel zitatsammlung-würdiges zu sagen hat, ist Lord Henry Wotton, eine der wichtigsten Figuren in The Picture of Dorian Gray. Wenn man dieses Buch zu spät in seinem Leben liest (sagen wir mit 34) ist das wirklich ermüdend, weil man nahezu alles, was Wotton sagt (und er sagt viel) schon 700 mal gehört und gelesen hat. Das kann man nun nicht Wilde vorwerfen, wohl aber den Menschen, die permanent Wilde-Zitate ungefähr allem voranstellen. Hört auf damit! zitatezumnachdenken.com (hab ich mir nicht ausgedacht) ist keine gute Quelle für tiefsinnige Zitate sondern für ausgelutschten Quatsch ohne brauchbare Quellenangabe. So. Nun aber zum Buch.

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The Picture of Dorian Gray ist wohl Wildes bekanntestes Werk und sein einziger Roman. Der junge, sehr gut aussehende und sehr reiche Dorian Gray wird darin von dem Maler Basil Hallmark porträtiert, der in ihm seine neue Muse gefunden hat. Basil ist ganz hin und weg von dem jungen Mann und schwärmt, er habe seine Kunst revolutioniert und in unbekannte Höhen gehoben. Ein ganz besonders gelungenes Porträt schenkt er dem jungen Mann. Es soll ihm zum Verhängnis werden.

„If it were I who was to be always young, and the picture that was to grow old!“

Denn Basils Freund Henry hat Dorian, während das Portrait gemalt wurde, davon überzeugt, dass seine Jugend und Schönheit sein größtes Kapital seien. Ohne, dass er vorher jemals darüber nachgedacht hätte, spürt er nun eine unerträgliche Angst vor der eigenen Vergänglichkeit. Sein Wunsch, dass statt seiner das Porträt altern möge, wird ihm, wie wir alle wissen, gewährt. Gut versteckt in einer Ecke seines Hauses wird das Bildnis des Dorian Gray älter und älter, während Dorian selbst unverändert attraktiv in der Gesellschaft brilliert. Doch nicht nur das – das Porträt spiegelt auch alle Grausamkeiten und Fiesheiten, die Dorian in seinem Leben begeht. Und das sind einige. Dorian selbst ist derweil wenig beeindruckt von den Herzen die er bricht und Leben, die er zerstört. Der selbstsüchtige, zynische und snobistische Henry, den andere Menschen nur interessieren, solange sie ihn amüsieren, trägt seinen Teil dazu bei, dass Dorian immer gewissenloser agiert. Das einzige was ihn bedrückt, ist die Sorge, dass jemand sein Geheimnis entdecken könnte. Diese Angst macht ihn sogar zum Mörder.

In The Picture of Dorian Gray behandelt Oscar Wilde auch seine Auffassung von Kunst und Moral, was ihm später einigen Ärger einbrachte. Er war der Ansicht, Kunst an sich könne nicht unmoralisch sein, sondern dass alles Verwerfliche allein von den Betrachtenden in das Werk projiziert würde. Mit dieser Kunstauffassung setzt er sich an mehreren Stellen des Romans auseinander. Auch die mehr oder weniger deutlichen homoerotischen Beziehungen in seinem Roman brachten ihm nicht gerade Pluspunkte in einer Zeit, in der homosexuelle Beziehungen in Irland illegal waren. Wegen „Unzucht“ wurde Wilde in späteren Jahren zu einer Zuchthaus-Strafe verurteilt.

Mit seiner Kritik an der Oberflächlichkeit der Gesellschaft und dem verbissenen Streben nach Jugend und Schönheit ist The Picture of Dorian Gray unverändert aktuell. Über Jahrzehnte gelingt es Dorian sein wahres und grausames Gesicht vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Wenn auch einige munkeln, er sei einen Pakt mit dem Teufel eingegangen, so schadet das doch im Großen und Ganzen nicht seinem Ansehen in der Gesellschaft. Mit allen Grausamkeiten kommt er durch, solange er nur schön und charmant bleibt. Vielleicht könnte man es mittlerweile umdrehen und einen Roman schreiben über einen Mann mit furchtbarem Verhalten und grausamen Gesichtszügen, der aber mit allem durchkommt, weil seine Insta-Stories makellos sind. Und weil er immer so tiefgründige Dinge zu seinen Bildern schreibt:

„Be yourself. Everyone else is already taken.“ (Oscar Wilde)


Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray. Gelesen in der Ausgabe ekz.bibliotheksservice. 173 Seiten. Erstausgabe Lippincott’s Monthly Magazine 1890. Es sind verschiedene deutsche Übersetzungen erschienen, in der Regel unter dem Titel Das Bildnis des Dorian Gray.

Das Zitat stammt von S. 22/173.

2 Gedanken zu “Das Ölgemälde als Jungbrunnen – „The Picture of Dorian Gray“ von Oscar Wilde”

  1. Hach, ich liebe es, aktuelle Rezensionen von Klassikern zu lesen…
    …und ich liebe auch Wildes Kunstmärchen – besonders „Der selbstsüchtige Riese“.

    Die Klassiker sind viel zu gut, um in Vergessenheit zu geraten!

    Lieben Gruß
    Andreas

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  2. Ha! Insta-Storys! 🙂 Das wäre mal ein Klassiker in die Gegenwart versetzt, den ich mir anschauen würde.
    Tatsächlich habe ich das Buch als Teen gelesen und konnte die ganzen Zitate damals nicht so schätzen wie vermutlich jetzt. Spannend und reizvoll fand ich die Geschichte aber trotzdem. Noch mehr umgehauen haben mich aber einige von Wildes Kurzgeschichten. Muss ich mal wieder lesen.

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