Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass Austen-Zitate sich größter Beliebtheit erfreuen, gerne auch als ganzer Roman. Pride and Prejudice and Zombies habe ich vor einiger Zeit mit großer Freude gelesen und mich nun auch an einen Teil des Austen-Projekts gewagt. Im Rahmen dieses Projekts wurden Austens Romane neu erzählt und dabei auch in die moderne Zeit verlegt. Ich habe bisher keines der Bücher gelesen, weil ich sehr skeptisch war – wenn man aus Austen die Empire-Kleider, die komplexen gesellschaftlichen Regeln und jedes „most ardently“, „ever so slightly“ und „oh but you must forgive me“ streicht, was bleibt denn dann? Im besten Fall „Clueless“, im schlimmsten Fall eine ziemlich dünne Story.
Nun gab es aber beim von mir abonnierten Streaming-Dienst die Hörbuch-Version von Val McDermids Nacherzählung von Northanger Abbey. Vor mir lag eine lange und langweilige Zugfahrt und da erschien mir diese Geschichte, die ich als ganz witzig und spannend in Erinnerung hatte, als gute Option. Und die Krimiautorin Val McDermid konnte ich mir auch als gute Neuerzählerin vorstellen.
Für alle, die es nicht (mehr) so parat haben: In Northanger Abbey geht es um die junge Pfarrerstochter Catherine Morland, die Mrs. Allen, eine Freundin der Familie, in die Sommerfrische ins mondäne Bath begleitet. Dort macht sie Bekanntschaft mit Henry Tilney, in den sie sich sofort verliebt. Da ein direktes Werben natürlich unmöglich ist, sucht sie die Freundschaft seiner Schwester Eleanor. Catherine schwärmt für gruselige Schlösser und Schauergeschichten, vor allem der damals populäre Roman Udolpho hat es ihr angetan. Sie ist begeistert vom Landsitz der Tilneys, einer ehemaligen Abtei mit Namen Northanger Abbey und freut sich sehr, als die Tilneys sie nach Ende ihres Aufenthalts in Bath einladen, einige Zeit dort mit ihnen zu verbringen. Die Mutter der Geschwister Tilney ist früh verstorben und Catherine ist sich sicher, dass es in den verwinkelten Gängen und dunklen Kellern des Familiensitzes mindestens ein mysteriöses Geheimnis aufzudecken gibt, das mit dem vermeintlichen Tod Mrs. Tilneys in Zusammenhang steht. Außerdem gibt es noch einen relativ komplexen Nebenplot, der mit dem Bruder Catherines, einer weiteren Freundin, deren Bruder und dem Bruder Henrys zu tun hat, aber den erspare ich euch hier mal.
„Die Moral oder Aussage dieser Geschichte ist nur schwer herauszulesen, und so soll es auch sein. Denn wie Catherine Morland auf schmerzliche Art und Weise herausfand, ist es nicht der Sinn erfundener Geschichten als Lektionen fürs Leben zu dienen.“
Val McDermid verlegt die Handlung nach Edinburgh zur Zeit des International Festivals. Mr. Allen ist in McDermids Version ein Show-Produzent, der sich nach neuen Konzepten umsehen will und Catherine soll mitkommen, damit Mrs. Allen sich nicht so sehr langweilt. Die Story folgt eng der klassischen Vorgabe und versucht, diese in die moderne Zeit zu verlegen. Und das knirscht an einigen Stellen leider gewaltig. Kutschen werden Autos, Briefe werden Mails, das klappt ja alles noch. Etliche der Missverständnisse im Original beruhen aber beispielsweise darauf, dass man Leute nicht sofort erreichen kann, sondern ihnen erst schreiben muss. In den Stunden, die vergehen, ist das Unheil mitunter schon angerichtet. Catherine in der modernen Version sitzt den ganzen Tag an ihrem Smartphone und simst (simst! Das Buch ist von 2016, da hat doch niemand mehr gesimst und überhaupt hat niemals jemand simsen gesagt, außer der Duden Jugendsprache), denkt aber in diversen entscheidenden Augenblicken nicht daran, mal eben jemanden anzurufen. Die Schauerromane, die Catherine im Original so begeistern, wurden in der neuen Version durch Vampirromane (besonders Twilight) ersetzt. Überall im Haus und im Verhalten der Tilneys versucht sie nun, Anzeichen dafür zu finden, dass es sich auch bei ihnen um eine Familie von Blutsaugern handelt. Während man Austens Catherine die Faszination fürs Mystische noch abkauft, hatte ich da bei McDermids Protagonistin Schwierigkeiten. Sie ist zu abgeklärt und zu erwachsen, als dass sie mit 17 noch allen Ernstes an Vampire glauben würde.
Es funktioniert einfach nicht. Wie ich befürchtet hatte, sind Austens Geschichten und Figuren so sehr in ihrer Zeit verhaftet, dass man sie nicht ohne große Verluste herauslösen kann. Das neue Northanger Abbey ist eine harmlose, blutleere und höchstens leidlich unterhaltsame Teenie-Geschichte, die vielleicht noch als passables New Adult durchgehen kann. Von dem Charme und Witz, den Austens Vorlage hatte, ist hier auf jeden Fall nichts mehr übrig.
In der deutschen Version war noch dazu die Übersetzung in Teilen wirklich sperrig, staksig und umständlich und die Hörbuch-Fassung konnte mich auch überhaupt nicht überzeugen. Edinburgh wird konsequent mit /bəːɡ/ am Ende ausgesprochen, was leider einfach falsch ist und mich rasend macht. Northanger klingt meistens, als bestünde es tatsächlich aus north und anger. Loch Lomond wird als /lɒk/ ausgesprochen, und wo die Betonung bei Lomond hingehört, davon fangen wir jetzt mal nicht an. Da sind sie aber zum Glück nicht oft. Es mag Erbsenzählerei sein, aber wenn man dafür Geld bekommt, dass man ein Hörbuch produziert, dann kann man vielleicht mal gucken, ob man wirklich, wirklich sicher weiß, wie man schottische Namen ausspricht. Tipp: fast nie so, wie man denkt. Statt das Hörbuch zu hören, habe ich irgendwann einen Bericht über IC-Typen im Bahn-Magazin gelesen und das sagt vielleicht alles.
Val McDermid: Northanger Abbey. Ins deutsche übersetzt von Doris Styron. Gehört in der gekürzten Fassung Lübbe Audio 2017. Gelesen von Katrin Fröhlich. 6 Stunden und 50 Minuten. Eine Printausgabe ist bei Harper Collins lieferbar. Die englischsprachige Originalausgabe ist unter gleichem Titel 2014 bei Harper Collins erschienen.
Das Zitat stammt aus Kapitel/Track 80.
Ich muss gestehen, dass ich die Austen Originale noch gar nicht gelesen habe und werde mich erstmal an die ranwagen. Richtig gute Neuerzählung zu kreieren ist hohe Kunst und offenbar gelingt das nur wenigen. Danke für die Rezension und Warnung.
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Vor allem bei Austen finde ich es sehr schwer. Diese Romane leben zu sehr von ihrer Zeit. Bei anderen Stoffen ist das sicher leichter.
Die Originale allerdings mag ich sehr. Man glaubt es nicht, aber die sind oft sogar sehr witzig.
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Ja, die stehen schon sehr, sehr, sehr lange auf meiner Leseliste….
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Dass professionell produzierte Hörbücher immernoch oft nicht professionell produziert werden, geht mir auch öfter auf den Nerv. Russische Namen zB, sogar Städtenamen sind Kreativ-Aussprache-Freiwild. Oder deutsche Namen in englischen Produktionen. Oder eben „Edinburkk“, s.o. Sogar offenkundige Fehler oder komplett falsch betonte Satzzeile (wenn das ganze weitergeht und der/die Vorlesende einen Punkt gesetzt hat) bleiben oft stehen. Mit Filmen würde man so wohl nicht umgehen.
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Ja, das ist oft gruselig. Ich hatte mal das Hörbuch von „Garou“, was jetzt sowieso kein ganz herausragender Roman ist, aber da waren einige Sätze so falsch betont, dass sie eigentlich keinen Sinn mehr ergaben.
Mein Lieblingsbeispiel aber ist das HB von „Gottes Werk und Teufels Beitrag“. Da spricht der Sprecher nicht nur Jane Eyre falsch aus, sondern sagt auch in-trau-te-rin, ohne zu merken, dass das Wort was mit dem Uterus zu tun haben könnte, der einen Satz davor vorkam. Und das macht er mehrfach. Hält da niemand an und sagt in-trau-te-rin? Was zur Hölle soll denn das für ein Wort sein?
In diesem Buch gibt es sogar eine Stelle, an der eine Figur das Wort „Edinbro“ schreibt, offenbar in einer Nachahmung der schottischen Aussprache. Das liest sie auch so, wechselt dann aber wieder auf börg. Ich weiß nicht, was man sich gedacht hat, warum da Edinbro steht und ob das vielleicht einen Sinn haben könnte.
Im Ernst – wir haben alle Internet. Man kann sich anhören, wie Wörter ausgesprochen werden. Es gibt einen extra Duden für sowas, den kann man für verhältnismäßig wenig Geld kaufen. Es ist nicht so, als sei das alles ein größerer Rechercheauftrag.
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Ja… ich denke da wird relativ knapp kalkuliert, weil der Markt grade bei nicht-Massenliteratur so klein ist, dass das erste Hörbuch auch das Beste, weil einzige bleibt… Viel Geld steckt man dann manchmal noch in den Namen des Vorlesers, aber für mehrere Takes ist dann halt keins mehr da. Und dann gibt es auch noch Hörbücher, die sind einfach als Strafe Gottes auf der Welt, wie die Schnarchnasen-Göttliche Komödie von Audible oder Malorys Le Morte Darthur, wo der Vorleser die ganze Zeit klingt, als sei er wütend auf den Zuhörer…
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Man könnte auch mal auf die Hörbücher schreiben, wer die Regie macht. Das ist manchmal fast nicht rauszufinden. Dabei kann die Regie so viel retten oder zerstören, ich finde das eine wirklich relevante Angabe. Deren Job ist es nämlich eigentlich, den Lesenden zu sagen, dass in-trau-te-rin kein Wort ist und dass man Edinburgh anders ausspricht. Die Lesenden dürfen sich trotzdem gerne Mühe geben.
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stimmt… hab grad mal bei einigen meiner Hörbücher gesucht.
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Manchmal ist es nicht mal möglich, die Info über die Verlagshomepage oder ähnliches zu kriegen. Eine Freundin von mir ist Hörbuchregisseurin – sie darf offen darüber sprechen und beteuert, dass es kein Geheimbund ist. Ich weiß nicht, warum man mir diese relevante Info dann vorenthält.
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Aber das würde sie auch beteuern, wenn es ein Geheimbund wäre… und dann ganz viel „offen“ darüber sprechen, um dich von der Spur abzubringen 😉
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Vielen Dank für den Tipp! Hab es auch gefunden und werde es mir bald anhören. Ich bin zwar großer Jane Austen Fan, aber gerade Northanger Abbey mag ich am wenigsten 😁 bin aber trotzdem auf diese Neuinterpretation gespannt.
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Viel Spaß! Vielleicht kommst du ja besser damit zurecht als ich 🙂
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Danke. Ich bin gespannt. Auf jeden Fall wusste ich nichts von dieser Aktion, werde mich aber weiter darüber informieren. Es gibt ja viele Bücher dieser Art. 🙂
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