Sue Black: Alles, was bleibt

Sue Blacks Arbeit dürfte auf viele Menschen erstmal abschreckend und verstörend wirken: sie ist forensische Anthropologin. Wenn irgendwo eine nicht identifizierbare Leiche gefunden wird, ist es ihre Aufgabe, herauszufinden, wie dieser Mensch einmal hieß, wo er gelebt hat und ob es vielleicht noch eine Familie gibt, die in Ungewissheit lebt und der es helfen kann, die vermisste Person wenigstens ordentlich zu beerdigen.

20181017_182315-1.jpg

Black arbeitet dabei nicht nur in ihrer Heimat, dem schottischen Dundee, sondern gehört auch einem internationalen Team an, das gerufen wird, wenn es irgendwo auf der Welt eine Menge Leichen zu identifizieren gilt. So war sie beispielsweise nach dem Kosovokrieg damit betraut, Menschen zu identifizieren, die in Massengräbern verscharrt wurden. Als ein Tsunami die Asiens traf und mehr als 250.000 Menschen ums Leben kamen, tat ihr Team das möglichste, die Toten sicher zu identifizieren. Die Hinweise, welche die Toten dabei geben, sind sehr spannend und den meisten sicher unbekannt. Klar, Knochenlängen sagen etwas über die Größe des Menschen, Verknöcherungsgrade etwas über das Alter aus. Aber wer weiß denn schon, dass man irgendwo im Kopf eine winzige Höhle namens otische Kapsel hat, die sich beim ungeborenen Kind entwickelt, sich danach nie wieder verändert und für immer Rückschlüsse darauf zulässt, welcher Umgebung die schwangere Mutter zum Zeitpunkt des fraglichen Entwicklungsstadiums ausgesetzt war?

Auch wenn einige ihrer Fälle wirklich aufsehenerregend waren, bleibt sie immer strikt bei den Fakten und verzichtet auf brutale Ausschmückungen, auch wenn sie an vielen Stellen durchaus möglich wären. Gerade an Orten von Massenmorden ließen sich blutrünstige Geschehnisse rekonstruieren. Bestimmt könnte man damit ein größeres und sensationslüsterndes Publikum erreichen. Aber Black hält sich zurück. Der Respekt vor den Toten und denen, die um sie trauern ist zu groß, zu ernst nimmt sie ihre Rolle als Wissenschaftlerin. Ihrer Arbeit begegnet sie mit einem sehr hohen Verantwortungsbewusstsein, ihre ethischen Grundsätze sind strikt und nicht verhandelbar. Vor allem in Anbetracht anderer Bücher und Dokumentation die sich mit dem Thema befassen, rechne ich hier das hoch an und finde es sehr angenehm.

„Lassen Sie Ihre vorgefasste Meinung über den Tod, jeden Hauch von Misstrauen, Angst oder Abscheu für einen Moment beiseite – vielleicht fangen Sie dann an, ihn so zu sehen, wie ich es tue. Vielleicht gewöhnen Sie sich an seine Gesellschaft, lernen ihn ein wenig besser kennen und hören auf, sich vor ihm zu fürchten.“

Alles, was bleibt ist aber nicht nur eine wissenschaftliche Abhandlung über Blacks Beruf sondern auch ein sehr persönliches Buch, in dem sie sich mit dem Tod auseinandersetzt. In den vielen Jahren, in denen sie täglich mit dem Tod gearbeitet hat, hat sie die Angst vor ihm verloren, dafür aber eine Menge Respekt gewonnen. Sie berichtet über Todesfälle in ihrer Familie und wie sehr sie sich manchmal im Nachhinein wünscht, anders gehandelt zu haben, die Sterbenden besser unterstützt zu haben. Ich fand es manchmal beinahe zu viel der persönlichen Auseinandersetzung, vor allem in der ersten Hälfte fand ich das Verhältnis nicht immer ganz stimmig. Aber das ist sicher auch Geschmackssache. In meinem Gesamturteil führt es auch nicht zu übermäßig vielen Abstrichen. Alles, was bleibt ist eine interessante, lehrreiche und vor allem respektvolle Auseinandersetzung mit einem Thema, vor dem viele immer noch zurückscheuen. Völlig zu Unrecht, findet Sue Black. Denn am Ende müssen wir uns alle mit dem Tod auseinandersetzen. Da kann es nicht schaden, früh einen guten Umgang mit ihm zu finden.


Sue Black: Alles, was bleibt. Mein Leben mit dem Tod. DuMont 2018. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Das Original erschien 2018 unter dem Titel All that Remains. A Life in Death bei Doubleday.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Das Zitat stammt von S. 15/310 der eBook-Version.

2 Gedanken zu “Sue Black: Alles, was bleibt

  1. dj7o9 31. Oktober 2018 / 17:24

    Das klingt ganz nach einem Buch für mich. Danke für die schöne Rezension.
    Kennst Du Dundee? War ab und an mal an der Uni dort, während ich in Perth wohnte und da nennt man Dundee ja gerne the Armpit of Scotland 😉 Sorry etwas off topic, aber ich hab schon so lange nicht mehr dran denken müssen.
    Liebe Grüße 🙂

    Like

    • Marion 4. November 2018 / 19:35

      Wie uncharmant! Das arme Dundee. Ich hatte mal einen Dozenten aus Dundee, der immer behauptet hat, die Stadt sei ganz toll. Bei einer Schottland-Reise wollten wir eigentlich hin, haben es aber dann zugunsten von Stirling (und dem Streckenverlauf) ausgeklammert. Da war es allerdings auch nicht sehr aufregend.

      Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.