Achtung: Spoiler ab dem dritten Absatz! Ich weiß, dass alle sowieso nur immer den letzten Absatz lesen, aber das funktioniert hier nicht, Freunde.
Daphne du Mauriers Roman Rebecca gilt 80 Jahre nach seinem Erscheinen als großer Klassiker, auch wenn er immer noch verdächtig ist, eine eher seichte Romanze mit Spannungselementen zu sein. Bemerkenswert ist, dass die namensgebende Rebecca de Winter in Person überhaupt nicht auftaucht und das auch gar nicht mehr kann, weil sie schon vor Einsetzen der Handlung tot ist. Allgegenwärtig ist sie trotzdem.
„He would never love me beause of Rebecca. She was in the house still as Mrs. Danvers had said, she was in that room in the west wing, she was in the library, in the morning-room, in the gallery above the hall. Even in the little flower-room, where her mackintosh still hung.“
Die sehr junge namenlose Protagonistin und Erzählerin des Romans lernt den reichen und weit älteren Maxim de Winter in Monte Carlo kennen, wo sie als Gesellschafterin einer reichen und anstrengenden Amerikanerin arbeitet. Sie verliebt sich schnell in den geheimnisvollen Mann, der vor nicht ganz einem Jahr seine wundervolle Frau Rebecca verloren hat. Die Heirat geht schnell und ohne großes Zeremoniell über die Bühne und nach wunderbaren Flitterwochen in Italien kehrt das junge Glück zurück nach Manderley, dem großzügigen Landsitz der Familie de Winter in Cornwall. Trotz aller Verliebtheit kann die Erzählerin dort nicht glücklich werden. Die geheimnisvolle Haushälterin Mrs. Danvers steht ihr feindselig gegenüber, bei gesellschaftlichen Anlässen ist sie unsicher und schüchtern und sie ist sich ziemlich sicher, dass Maxim immer noch Rebecca hinterhertrauert, deren Schönheit und Perfektion sie selbst nie erreichen kann. Noch nicht einmal den Namen „Mrs. de Winter“ hat sie für sich. Rebecca hängt als dunkler Schatten über allem, was sie in Manderley sieht und berührt und sie ist sich sicher, dass sie in allen Situationen mit Rebecca verglichen wird und nur verlieren kann. Dass die Wahrheit ganz anders und noch viel dunkler ist, findet sie erst nach und nach heraus.
Und nach diesem superguten Cliffhanger kommt jetzt: DER SPOILER! Ich gehe mal davon aus, dass extrem viele Leute Rebecca kennen, sei es nun als Buch oder als Film und nicht überrascht sein werden von dem, was jetzt kommt.
In Wahrheit ist Rebecca nämlich die Geschichte eines Mannes, der seine Frau umbringt und ungeschoren davonkommt, obwohl genug Menschen die Wahrheit kennen oder zumindest eine sehr schwere Ahnung haben. Zur Erinnerung: Maxim de Winter hatte sich mitten in der Nacht mit einer Schusswaffe in das Bootshaus auf dem Grundstück begeben, wo er Rebecca mit einer Affäre vermutete. Rebecca war allerdings allein, es kam zum Streit und de Winter erschoss seine Frau. Anschließend brachte er sie auf ihr Boot, welches er in der Bucht versenkte. Wie sich im Verlauf der Ermittlungen herausstellt, war Rebecca unheilbar erkrankt, was den Ermittlern reicht um einen Suizid festzustellen. Maxim behauptet, Rebecca habe ihn in der Nacht mit der Lüge provoziert, schwanger von einem anderen zu sein. Damit habe sie ihn dazu bringen wollen, sie zu erschießen. Der tödliche Schuss war also kein Mord aus Eifersucht, sondern suicide by proxy. Well played, Mr. de Winter. Im Grunde kann es Mr. de Winter aber sowieso egal sein. Das Ansehen seiner Familie reicht aus, um beinahe alle involvierten Ermittler einknicken zu lassen. Fast allen ist vollkommen klar, dass die Geschichte nicht ganz sauber ist, man legt den Fall aber gerne zu den Akten, wenn es denn nur hilft keinen unnötigen Aufruhr um das geschätzte Manderley zu provozieren.
Außerdem war Rebecca sowieso schrecklich. Sagt zumindest Maxim. Tatsächlich war die Ehe der de Winters zumindest aus seiner Sicht eine ziemliche Katastrophe, allerdings kennt man als Leserin aber auch eben nur seine Sicht. Sehr viele Menschen hatten eine andere und mitunter sehr hohe Meinung von Rebecca was aber, so Maxim, nur daran lag, dass sie allen anderen was vormachen konnte. Nun, wir werden Rebecca nicht mehr kennenlernen.
Wen wir aber kennenlernen ist ihre Nachfolgerin, die namenlose Erzählerin. In zweiter Ehe hat Maxim sich klugerweise für eine Frau entschieden, die deutlich jünger ist als er, selbst über keinerlei finanzielle Mittel verfügt und so schüchtern und zurückhaltend ist, dass sie nicht mal um Hilfe rufen würde, wenn sie unter einem umgestürzten Baum eingeklemmt wäre, damit sich nur niemand die Mühe machen muss, ihretwegen so viel Holz zu bewegen. Als neue Mrs. de Winter bringt sie nicht einmal die Bestimmtheit auf, der Haushälterin zu sagen, welche Sauce es zum Fisch sein soll und friert lieber in der kalten Bibliothek als um das Entzünden eines Feuers zu bitten. In ihrem eigenen Haus bewegt sie sich wie ein unerwünschter Gast und verheimlicht dem Personal sogar, dass sie eine Porzellanfigur kaputt gemacht hat, die ja nun de facto ihr gehört. Mit dieser Frau an seiner Seite hat Maxim sicher weniger Ärger als mit der ersten, die immer nur gemacht hat, was ihr gerade in den Kram gepasst hat. Bonusmaterial: die neue Mrs. de Winter ist anhänglicher als ein Cockerspaniel und unterstützt ihren Mann gerne in der Vertuschung des Mordes. Da hat Maxim Glück gehabt, dass die Alte ihn nicht ans Messer liefert und sich freut, dass sie Manderley und einen Batzen Kohle erbt. Denn sie sieht ein, dass Maxim eigentlich ein superguter Mensch ist, in dem Fall aber echt keine andere Wahl hatte, als seine Frau zu erschießen. Nett von dir, namenlose Erzählerin.
Tatsächlich hatte ich beim Lesen aber auch Mitleid mit dem verschreckten Hascherl. Sie ist nicht nur jung, sondern hat auch keine Ahnung von dem was sie da tut und ist so sehr darum bedacht, nur ja keinem auf die Füße zu treten, dass es fast schmerzhaft ist, ihr dabei zuzusehen. Erst als Maxim ihr endlich seine Liebe versichert – und im gleichen Atemzug den Mord gesteht – blüht sie auf und kann für sich selbst einstehen. Bis dahin glaubte sie, seine Stille und Zurückhaltung sei darauf zurückzuführen, dass er Rebecca immer noch mehr liebt als sie, aber nun weiß sie, dass er nur Angst hatte, er könne des Mordes überführt werden. Was für eine Erleichterung!
Bleibt noch Mrs. Danvers. Auch die Haushälterin ist recht einseitig charakterisiert. Sie hat Rebecca seit ihrer Kindheit begleitet und vergöttert und verkraftet ihren unerwarteten Tod erwartbar schlecht. Der Erzählerin gegenüber verhält sie sich kalt und versucht sogar, sie in den Suizid zu treiben. Das ist nicht sehr nett, zugegeben. Auch dass sie Manderley anzündet hätte nicht sein müssen. Mrs. Danvers ist wirklich keine sehr nette Person, zumindest nicht in der Phase ihres Lebens, in der wir sie kennenlernen.
Trotzdem bleibe ich dabei, dass das eigentliche Arschloch der Geschichte Maxim de Winter ist. Ein Arschloch, dass seine Frau erschießt und dann seine Privilegien voll ausnutzt, um ungeschoren davon zu kommen. Und sich noch dazu eine schwache und abhängige Frau sucht, die ihm Zeit seines Lebens nicht mehr dazwischenfunken wird. Läuft bei dir, Maxim.
Daphne du Maurier: Rebecca. Gelesen in der Ausgabe Avon 1971 (110. Auflage). 380 Seiten. Erstausgabe 1938 bei Gollancz London. Es existieren diverse deutsche Übersetzungen, die letzte (von Brigitte Heinrich) ist bei Insel lieferbar.
Das Zitat stammt von S. 233.
Frau…
…nehme einen allseits bekannten wie beliebten Klassiker der Weltliteratur
von einer ebenso bekannten wie beliebten Autorin,
…löse sich von überzogener Ehrfurcht und einengender Ehrerbietung
…und blicke frisch aber doch respektvoll auf dieses Werk.
Chapeau!
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Merci!
Als ich gerade angefangen hatte, das Buch zu lesen, hat mir eine Freundin erzählt, dass es das aktuelle Buch in Emma Watsons Buchclub ist. Was in mir die Frage aufgeworfen hat, warum um alles in der Welt. Ich glaube, dass ich ohne diese Info das Buch völlig anders und sicher „klassischer“ gelesen hätte.
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Wäre Deine Rezension dann besser, schlechter oder einfach nur anders?
Erstaunlich, wie sehr wir uns beeinflussen lassen: Plötzlich sieht man ein Werk in einem ganz anderen Licht und liest es unter völlig anderen Voraussetzungen. Wobei ich versuche, auch immer die Entstehungszeit eines Werkes zu berücksichtigen: Auch wenn mir z. Bsp. das beschriebene Frauenbild in einem Werk nicht zusagt, so ist mir der Ursprungstext immer noch lieber als eine auf „political correctness“ glattgebügelte Version.
Ich zumindest fand Deine Herangehensweise an diesen Klassiker sehr erfrischend!
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Die Entstehungszeit und andere Umstände habe ich beim Lesen auch immer im Hinterkopf – oder versuche es zumindest.
Ich kann nur schwer einschätzen, wie meine Rezension sonst ausgefallen wäre. Ich kannte Rebecca ja schon als Film, auch wenn das lange her ist. Aber die Grundstory kannte ich. Aber ich glaube, ich hätte diesen „vergessenen“ Mord schon weniger hinterfragt. So oder so habe ich den Roman aber sehr gerne gelesen, mein Urteil, dass Maxim der eigentliche Arsch ist, tut dem keinen Abbruch. Der Roman ist natürlich nicht brillant und sicher auch nicht hoch literarisch, aber er ist gut aufgebaut und erzählt und auch sehr spannend.
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Ich finde das Buch total überschätzt. Den „Twist“ hab ich aus weiter Entfernung kommen sehen und die letzten Kapitel fand ich total langweilig.
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Och, ich habs gern gelesen, auch wenn das Ende sich zieht, das stimmt. Ich wusste ja aber sowieso wie es ausgehen wird.
Ich glaube, Rebecca verdankt sein Ansehen dem tradierten Kultstatus. 1940 mag das ein Knaller-Film gewesen sein.
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Ich glaube, meine Enttäuschung lag auch daran, dass das Buch ja angeblich Jane Eyre imitieren soll. Deshalb hab ich nämlich die lange erwartet, dass die wahnsinnige Rebecca noch irgendwo in Manderley haust und dass es dementsprechend noch einen Riesenknall gibt. Der blieb aus und ich fand die Auflösung vergleichsweise banal.
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Woher dieser Jane Eyre-Vergleich kommt, ist mir auch ein bisschen schleierhaft. Das Grundgerüst – junges, unerfahrenes Mädchen verliebt sich in älteren Mann, dessen riesiger Landsitz ein bisschen gruselig ist – mag ja noch gleich sein, aber das war es halt auch schon. Wenn man aber natürlich eine im verborgenen Hauende, brandschatzende Rebecca erwartet, muss das Ende enttäuschen.
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Das ganze Buch über wusste ich nicht, wen ich anstrengender fand: Maxim, weil er ständig seine Launen an seiner Frau ausgelassen hat und sie doch behandelt hat wie ein dummes kleines Kind (warum heiratet man jemanden, den man für ein Kind hält?), oder die namenlose Erzählerin, die ich jetzt einfach mal Jane nenne, weil sie so erpicht darauf schien, sich von allen als Fußabtreter benutzen zu lassen, um sich nur auf gar keinen Fall einer Herausforderung stellen zu müssen. Ihre Ehe erinnerte mich auch ehrlich gesagt an etwas, wofür es auf Englisch den Begriff Grooming gibt. Nicht sehr appetitlich.
Ich war auch sehr enttäuscht, als ich mit dem Buch fertig war und es mit Rebeccas Geschichte dabei blieb, dass sie nichts anderes als die herrschsüchtige, heuchlerische Nymphomanin gewesen sein sollte. Natürlich ist das nur die Ansicht des geehrten Maxims, aber es hätte sich doch noch etwas anderes herausstellen können. So fand ich den Abgrund zwischen dem, was alle anderen in Rebecca sahen, und dem, was Maxim sah, etwas an den Haaren herbeigezogen. Auch dass Janes Angst und gefühlte Unterlegenheit sich letztendlich nur als die Hirngespinste eines zu jungen Mädchens herausstellten, wirkt etwas bevormundend und passt nicht ganz zu dem furchtbaren Weib, das Rebecca gewesen sein soll. Gerade hier wäre eine gute Gelegenheit gewesen, diese Darstellung durch eine andere Sichtweise als Maxims untermauern zu lassen.
So bin ich von dem ganzen Buch ordentlich verwirrt.
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Mich verwirrt an dem Buch vor allem, woher es diesen Kult-Status hat. So gut ist es nun wirklich nicht, auch wenn ich gut unterhalten war.
Die Charaktere sind völlig unausgereift, das stimmt. Liest man es als Neu-Interpretation von „Jane Eyre“, erklärt das die schablonenhaften Charakterisierungen, bzw. man muss eben einige Charakterisierungen und Details aus der Vorlage mitdenken. In der Zeit, in der „Jane Eyre“ spielt, waren Ehen mit dem auch hier vorkommenden Altersunterschied auch weniger außergewöhnlich, dann macht das alles ein bisschen mehr Sinn. Recht platt gerät es aber trotzdem, vor allem die neue Ehefrau, wie du ja auch ausführst.
Die erste Ehefrau in „Jane Eyre“ hat ja irgendwann ihr „Writing Back“ bekommen und ihre Geschichte nochmal erzählen können. Ich wüsste gerne, ob es das von Rebecca de Winter auch gibt. Bekannt wäre es mir zumindest nicht. Meinetwegen auch von Mrs. Danvers. Die hätte sicher auch noch Erhellendes zu ihrem Schützling und dem ehrenwerten Mr. de Winter sagen können.
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