Als Truman Capote 1984 starb, gründete sein Ruhm weniger auf seinen Romanen als auf seiner spektakulären Selbstinszenierung. Sein großer Erfolg mit dem True Crime-Roman In Cold Blood war da schon fast zwanzig Jahre her und seinen letzten Roman Answered Prayers konnte er nicht mehr fertigstellen. Er wurde erst posthum veröffentlicht. Ebenfalls posthum veröffentlicht wurde sein eigentlich erster Roman Summer Crossing. Er schrieb ihn in den 40er-Jahren und vergrub das Manuskript in einer Schublade. Später behauptete er, er habe den Text zerstört, weil er ihm nicht mehr gefallen habe. In Wahrheit aber hatte er die Hefte einfach in seiner damaligen Wohnung in Brooklyn zurückgelassen und der mit der Entrümpelung beauftragte Hausmeister bewahrte sie, zusammen mit anderen Erinnerungsstücken, auf. So tauchte das Romanmanuskript 2004 beim Auktionshaus Sotheby’s auf und konnte 2005 veröffentlicht werden.
Der sehr kurze Roman spielt etwa zu seiner Entstehungszeit. Der Zweite Weltkrieg ist gerade erst vorbei, in New York gibt es auf einmal ungeahnte Möglichkeiten und große Freiheiten. Zumindest für die, die es sich leisten können. Eine die es sich leisten kann ist Grady McNeil, siebzehnjährige Tochter reicher Eltern. Ihre Eltern wollen mit dem Schiff nach Europa reisen und sehen, ob ihr Ferienhaus in Südfrankreich den Krieg gut überstanden hat. Auch ein Abstecher nach Paris ist geplant, wo ein passendes Kleid für Gradys Debütantinnenball gekauft werden soll. Doch Grady will gar nicht mit, sie will in New York bleiben. Nie hat sie dort einen Sommer erlebt und nun hat sie noch dazu einen guten Grund: sie ist verschossen in den attraktiven und überhaupt nicht standesgemäßen Clyde, aus dem mal was hätte werden sollen, der jetzt aber Parkplatzwächter in der Nähe des Broadway ist. Also so gar nicht das, was das Ehepaar McNeil sich für seine Tochter wünschen würde, und natürlich dürfen sie auch keinesfalls von der jungen Liebe erfahren.
„Grady had never spent a summer in New York, and so had never known a night like this. Hot weather opens the skull of a city, exposing its white brain, and its heart of nerves, which sizzle like the wires inside a lightbulb.“
Man merkt dem Roman an, dass es ein Erstlingswerk ist. Besonders das Prinzip „zeigen, nicht erzählen“ war zu Capote zu diesem Zeitpunkt seines Schaffens noch nicht ganz durchgedrungen. Dass beispielsweise Clyde Jude ist, wird angelegentlich erwähnt – irgendeine Folge hat das aber nicht. Es wird nicht aus seinem Handeln oder dem seiner Familie ersichtlich, es scheint keinerlei Auswirkung auf seinen Alltag zu haben, es ist einfach so ein Fakt, der in den Raum gestellt wird, ein weiteres Hindernis, das im weiteren aber ignoriert werden kann. Was man aber schon sehen kann, ist Capotes Talent zum Schreiben, das sich in einigen wirklich sehr gelungen Formulierungen und Bildern zeigt. Nicht zuletzt blitzt in Grady auch schon Holly Golightly auf. Mit der gleichen bestechenden Leichtigkeit tänzelt sie durch New York, fürchtet keinen Ärger und keine Konsequenzen. Clyde zieht während der Abwesenheit ihrer Eltern mehr oder weniger bei ihr ein und macht sich im Schlafzimmer der Mutter breit. Überquellende Aschenbecher und Brandlöcher im Fußboden, die jeden normalen Teenager in Erklärungsnöte bringen würden, sind Grady völlig egal. Leichtfertig bietet sie einer fast völlig Fremden an, ihre Verlobung in ihrer Wohnung zu feiern. Ihr Herz schenkt sie diesem und jenem, auch das ohne Gedanken an Konsequenzen. Sie scheint völlig ohne Hintergedanken und jede Sorge um die Zukunft zu sein. Doch zwischendurch zeigen sich in dem oberflächlichen Geplänkel, mit dem sie sich befasst, ihre Unsicherheit und Verletzlichkeit. Sogar Hollys Bruder Fred findet seinen Gegenpart in diesem Roman, allerdings nicht in der Familie McNeil.
Summer Crossing ist ein Roman von großer Leichtigkeit, der sowohl die Sorglosigkeit der jungen Grady als auch die brodelnde Atmosphäre New Yorks einzufangen versteht. Einiges ist noch grob, und auch wenn der Roman durchaus lesenswert ist, ist verständlich, warum Capote ihn nicht veröffentlichen wollte. Fast liest der Text sich wie eine Skizze für Breakfast at Tiffanys, ist als solches aber eben auch gerade interessant. Man kann erkennen, was an Capotes Schreibstil später mal gut und charmant werden wird, aber noch ist er eben nicht ganz da.
Truman Capote: Summer Crossing. Penguin 2006. 142 Seiten, ca. € 6,50. Erstausgabe Random House 2005. Die deutsche Übersetzung von Anuschka Roshani ist unter dem Titel Sommerdiebe bei kein & aber erschienen. TB € 10,-.
Das Zitat stammt von S. 79
Ich fand ja The Grass Harp immer am stärksten… aber einen Blick wert dürfte eine Art Skizze zu Breakfast at Tiffanys dann doch sein 🙂 .
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Schöne Besprechung – hab das Buch auch, schon eine Weile her das ich es gelesen habe, aber deine Rezension hat einige wieder in Erinnerung gebracht. Liebe Grüße 🙂
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Ich habe tatsächlich noch nie was von Capote gelesen. Hast du einen Tipp für mich, mit welchem seiner Bücher ich anfangen sollte?
Liebe Grüße
Juliane
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Tatsächlich habe ich von Capote nur dieses hier gelesen und vor Jahren mal „Breakfast at Tiffanys“. Zumindest was die Romane angeht, sonst nur kürzere Sachen. Also wenn ich einen von den Roman empfehlen müsste, dann Tiffanys.
Aber ich bin da halt echt nicht die Expertin. Grundsätzlich kann ich aber dazu raten, ihn zu lesen 🙂
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