An einem Wintertag hat sich die Familie Rubin mit zahlreichen Angehörigen und Freunden in der Synagoge versammelt. Sohn Leo heiratet seine Verlobte Naomi – oder auch nicht. Sekunden, bevor die Zeremonie beginnen soll, überlegt er es sich anders und brennt mit seiner Geliebten Helen durch. Für seine Mutter Claudia, die als Rabbinerin der Gemeinde als die perfekte Mutter und Familienvorsteherin gilt, ist das die totale Katastrophe. In wenigen Wochen soll ihr neues Buch erscheinen und die grandios inszenierte Hochzeit wäre die ideale Promotion gewesen. Fehltritte der Familienmitglieder sind im Moment einfach nicht drin, so viel Rücksicht darf sie erwarten.
Das gilt auch für Tochter Frances, die in ihrer Ehe kreuzunglücklich und mit ihrer Mutterrolle überfordert ist und für Ehemann Norman, dessen Bücher immer weniger erfolgreich als die seiner Frau sein müssen. Nur die jüngeren Geschwister Simeon und Emily dürfen machen, was sie wollen, während die Familie zu akzeptieren hat, dass sie für normale Lohnarbeit und „das Leben da draußen“ einfach nicht gemacht sind. Bis ein rettender Einfall ihres Weges kommt, wohnen sie eben noch zu Hause. Während an allen Fronten Konflikte ausgefochten werden und neue Wege gefunden werden müssen, plant Claudia ein riesiges Seder-Essen zu Pessach, knapp vor Erscheinen ihres neuen Buchs, das ihren Status als vorbildliche Matriarchin und Gemeindevorsteherin zementieren soll. Dass sie währenddessen in großer Sorge um ihre eigene Gesundheit ist, darf niemand merken.
„Do people really defy their families and act on their own desires? Even people like him?“
Der Titel der deutschen Übersetzung Meschugge – eine fast perfekte Familie klingt nach harmloser Wochentags-Fernsehkomödie und das ist der Roman im Grunde auch. Erst geht es drunter und drüber, dann entladen sich ein paar Konflikte und dann könnte alles viel einfacher sein, wenn man mal miteinander reden würde. Aber das kann in der Familie schon lange keiner mehr und jeder vermutet von den anderen, dass ihr Handeln darauf ausgelegt ist, andere zu verletzen. Es ist eine Revolution, als zwei der Rubin-Kinder beschließen, jetzt endlich mal ihr eigenes Glück an erste Stelle zu setzen und damit gegen diverse ungeschriebene Familien-Gesetze verstoßen. Der Roman hat schon seine Momente. Einige der Konflikte, die Mendelson ausarbeitet, sind durchaus spannend und vielschichtig und manchmal wird auch ernsthaft an einer Lösung gearbeitet. Besonders für Tochter Frances ist es schwer, sich gegen den Willen der Familie und ihren unerträglich nervigen Ehemann zu stellen. Ihr innerer Konflikt ist dabei ebenso so nachvollziehbar und sensibel ausgearbeitet wie der Weg, den sie schließlich aus ihrem Dilemma findet.
Das kann aber nur bedingt darüber hinwegtrösten, dass viele andere Stellen in diesem Roman nur von komischen Zufällen und Begegnungen leben. Dem Buch wurde oft ein großartiger Humor attestiert, den ich anscheinend einfach nicht sehe. Viele der lustigen Verwechslungen und Zufälle empfand ich eher als albern und der Geschichte wenig zuträglich. Die Albernheiten torpedieren sogar die interessanten Strukturen und Elemente, die der Roman hat. Viele der emotionalen Ausbrüche, die sich ankündigen, entpuppen sich dann doch als Rohrkrepierer. Zudem wimmelt der Roman von skurrilen Nebenfiguren, die ausschließlich zur Unterhaltung und überhaupt nicht zur Handlung beitragen. Stilistisch aber gibt es wenig an diesem Roman auszusetzen. So sehr ich auch mit einigen Elementen gehadert habe, war ich doch zumindest ganz gut unterhalten. Wem also der Sinn nach „turbulenter Familienkomödie mit Tiefgang“ steht, ist hier ganz gut aufgehoben.
Charlotte Mendelson: When We Were Bad. 324 Seiten. Picador 2008. Erstausgabe Picador 2007. Deutsche Übersetzung von Barbara Schaden unter dem Titel Meschugge – eine fast perfekte Familie 2008 bei Atrium und (mit grauenhaftem Cover) 2010 bei Diana. Zur Zeit sind alle Ausgaben nur antiquarisch erhältlich.
Das Zitat stammt von S. 185.
Mendelson war mit diesem Roman 2008 auf der Shortlist des Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.
Ach, das klingt nett. So als Snack zwischendurch, merci für’s aufmerksam machen. Der Titel hätte mich eher abgeschreckt.
LikeGefällt 1 Person