Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen

Fünf Männer verbringen das Wochenende auf einem Berg. Sie kennen sich seit Kindertagen, heute sind sie erfolgreiche Architekten, Anlageberater, P1-VIPs. Einmal im Jahr fahren sie zusammen auf eine Hütte in den Bergen und versuchen, an die glorreichen alten Zeiten anzuknüpfen. Dass sie nicht mehr so eng sind wie früher, weniger trinkfest, verkrampfter im Umgang miteinander, ist ihnen allen klar, aber sie fahren halt doch. Am letzten Morgen brennt das Dorf unter ihnen im Tal. Als sie unten sind stellen sie fest: nicht nur das Dorf brennt, sondern die ganze Welt. Zumindest der Teil, den sie überblicken können. Während sie oben waren, hat unten etwas oder jemand schrecklich gewütet. Ausgebrannte Autos, verendete Tiere, aufgedunsene Leichen am Seeufer.

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Der Roman ist nicht lang, aber so dicht und atmosphärisch, dass es in Teilen an Horror grenzt. Ich habe Albträume bekommen von diesem Buch. Die Männer quälen sich durch das verschneite Alpenvorland, ohne zu wissen, was passiert ist, ob auch eine Gefahr für sie besteht, vor allem aber ohne irgendeine Ahnung, ob die Zerstörung irgendwo endet, ob am Ende nicht die ganze Welt in Schutt und Asche liegt. Ob es nicht besser ist, sich einfach gleich umzubringen.

„Wir lassen ihn sitzen im nassen Gras, und wir hoffen, dass es heute Nacht nicht so kalt wird, dass er im Dunkeln sterben muss. Aber kalt genug, dass es bald nach Sonnenaufgang vorbei ist.“

Die Introspektion muss und kann man sich denken. Die Verzweiflung, Furcht und Zweifel werden spürbar, aber selten artikuliert. Nur der Ich-Erzähler ermöglicht einem manchmal einen kleinen Einblick. Das macht es umso bedrückender, die Männer auf ihrem Weg zu beobachten. Die Kapitel dieses Romans sind kurz und schmucklos, auf das nötigste beschränkt. Der Erzähler wechselt zwischen dem Wochenende auf der Hütte, dem sinnlosen Weg durch den Schnee und Episoden aus dem Leben seiner Freunde. Ob der Weg der fünf chronologisch erzählt wird, ist in den aneinandergereihten Szenen nicht immer klar, oft aber auch egal. Zerstörung reiht sich an Zerstörung und Anlass zur Hoffnung gibt es so oder so nicht.

Eigentlich müssten wir tanzen ist ein sprachlich ausgefeiltes, atemloses und grausames Buch, das die Frage aufwirft, was unser eigenes Leben eigentlich noch wert ist, wenn es sonst keines mehr gibt und woher man die Kraft nehmen kann, weiterzulaufen, wenn bis zum Horizont nur Zerstörung ist.


Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen. Suhrkamp 2017. 172 Seiten, € 10,-. Originalausgabe Suhrkamp 2015.

Das Zitat ist von S. 46

12 Gedanken zu “Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen

  1. Sven 12. Dezember 2017 / 11:41

    Ich fand das Buch sehr verstörend. Hab den Autor aber mal bei einer Lesung gesehen und er war mir recht sympathisch.

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    • Marion 12. Dezember 2017 / 20:55

      Verstörend war das Buch absolut! Ich habe ihn nie live gesehen, aber mal eine aufgezeichnete Lesung und da wirkte er eigentlich zu nett für das Buch.

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      • Sven 12. Dezember 2017 / 21:22

        Ja, genau das dachte ich beim Lesen dann auch. 😀

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  2. dj7o9 12. Dezember 2017 / 12:14

    Das Buch klingt spannend, ich lege es mal auf meine Liste. Ich finde seinen Namen so furchtbar, aber da kann der arme Autor ja nix für 😉
    Übrigens – ich bin sehr sehr neidisch auf dein Oktopus-Kissen….

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    • Marion 12. Dezember 2017 / 20:56

      Ja, das mag ich auch sehr. Ich müsste es mehr auf Bilder werfen.
      Es ist, glaube ich, von h&m.

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    • Marion 12. Dezember 2017 / 20:57

      Ist es 🙂 Wie gesagt – das waren ein paar Nächte Albträume.

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  3. louieloire 15. Dezember 2017 / 14:48

    Interessanter Blick auf den Kurzroman, der mich noch mal zum Nachdenken gebracht hat. Mich hat das Buch damals von der Story und vom Ton her nicht komplett überzeugt – und zimperlichen Naturen habe ich in meiner Besprechung von der Lektüre abgeraten und stattdessen zu Helles Debüt geraten: http://zehnseiten.de/de/buecher/detail/heinz-helle-der-beruhigende-klang-von-explodierendem-kerosin-433.html
    Vielleicht passen da Charakter des Autors und Werk besser zusammen – wobei es ja immer heikel ist, da Verbindungen zu ziehen. Aber auf jeden Fall ein sympathischer Typ (habe zusammen mit ihm bei der Endrunde des Literaturwettbewerbs Prenzlauer Berg gelesen).
    Falls es interessiert – der Link zu meiner Rezension:
    https://jenslaloire.com/2015/12/11/11-unterkuehlter-abschied-von-der-zivilisation/

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    • Marion 15. Dezember 2017 / 21:37

      Für empfindliche Gemüter ist der Roman absolut nichts, da gebe ich dir recht.
      Danke für die Erinnerung an das Debüt – das fand ich vor allem wegen des Titels interessant, bin dann aber doch nie dazu gekommen, es auch mal zu lesen. Wird nachgeholt!

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