Xifan Yang: Als die Karpfen fliegen lernten

Im Alter von vier Jahren zieht Xifan Yang mit ihrer Mutter nach Deutschland. Sie folgen dem Vater, der schon einige Jahre zuvor für ein Studium ausgewandert ist. Für die chinesische Familie ist Europa ein Wunderland ungeahnter Möglichkeiten und Freiheiten. Die Eltern arbeiten hart, um ihrer Tochter eine leichtere Zukunft zu ermöglichen. Xifan lebt sich in Deutschland schnell ein und lernt die Sprache mühelos. China gilt da noch als rückständiges Land der Hundeesser und oft schämt sie sich für ihre Herkunft. Der von der Mutter aufgezwungene Chinesischunterricht ist eine lästige Pflichtübung, die Xifan ohne jede Begeisterung erledigt.

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Erst nach der Pubertät beginnt sie, sich für ihre Familiengeschichte zu interessieren. Vor allem ihr Großvater Peng ist ihr eine wertvolle Quelle. Mit 80 Jahren träumt er noch von einer Karriere als Musiker, nachdem sein Leben lang seine beruflichen Entscheidungen von anderen getroffen wurden. Als junger Mann versuchte er noch, als Kader in der Kommunistischen Partei erfolgreich zu werden. Doch er konnte sich nicht unterordnen und immer wieder fiel er wegen reaktionärer Aktionen unangenehmen auf. 1960 schließlich zog er durch ein Gedicht so viel Unmut auf sich, dass er zur „Umerziehung durch Arbeit“ in einer abgelegenen Berggegend verurteilt wurde. Seine Hoffnungen, als Künstler tätig sein zu können, musste er für lange Jahre begraben. Seine Enkelin Xifan hat nun alle seine Akten ausgegraben, alle Selbstbezichtigungen, alle Protokolle, die über Peng angefertigt wurden. Sie erzählen von großen Grausamkeiten, aber auch einem großen Durchhaltevermögen und Einfallsreichtum. Die Geschichte von Peng und seiner Familie ist natürlich nur eine unter Millionen, doch ist sie ein eindrucksvolles Beispiel für das Leben in einem Land, das in den letzten Jahrzehnten einem so rasanten Wandel unterworfen war wie kaum ein anderes.

„Pengs kleinbürgerliche Herkunft äußert sich in schwerwiegenden individualistischen Tendenzen.“

Als „Banane“ – außen gelb und innen weiß – kehrt sie schließlich in ihr Geburtsland zurück. Chinesin ist sie nicht mehr, längst hat sie einen deutschen Pass. Doch China lässt sie nicht mehr los, nirgends fühlt sie sich so zu Hause wie in Shanghai. Ihren Freunden in Deutschland sagt sie immer wieder, China sei viel besser als sein Ruf, die Menschen viel freier, als man im Westen glaube. In Shanghai erlebt einen Umbruch, der vor allem dank des Internets stattfinden kann. In sozialen Netzwerken wie Sina Weibo (einem Mikroblogging-Anbieter) können Neuigkeiten und Geschichten verbreitet werden, die nicht erst durch Redakteure abgenickt werden müssen und die nicht so schnell zensiert werden können, wie sie Verbreitung finden. Etliche Skandale werden so aufgedeckt, etwa ein vermeidbares Zugunglück und diverse Lebensmittelskandale, aber auch hoffnungsvolle Geschichten wie die vom Fischerdorf Wukan, das sich freie Wahlen und einen neuen Dorfvorstand erstritten hat. Es gehen Menschen auf die Straße und verlangen lautstark einen gesellschaftlichen und politischen Umbruch.

Doch die Stimmung kippt bald. Neue Gesetze bedrohen BloggerInnen, die „falsche“ Meldungen verbreiten mit hohen Strafen. AktivistInnen werden unter Hausverbot gestellt, Medien geschlossen. Xifan Yang zweifelt zunehmend an ihrem Heimatland. Ihre Familie sieht das zu großen Teilen anders. Etliche ihrer Verwandten haben sich in den vergangenen Jahren erhebliches Ansehen und Wohlstand erarbeitet. Auch sie sehen einige Zustände in ihrem Land durchaus kritisch und ärgern sich über Einschränkungen und Korruption. Die rasante Entwicklung aber von einem Entwicklungsland zur bedeutenden Wirtschaftsmacht bewundern sie. Diese große Leistung rechnen sie der Kommunistischen Partei hoch an, auch wenn die meisten von ihnen Mao und seine Kulturrevolution sehr kritisch sehen. Der oft beschworene chinesische Traum jedenfalls ist nicht für alle in Erfüllung gegangen.

Als die Karpfen fliegen lernten ist primär eine Familiengeschichte, allerdings eine so ausführliche und weit verzweigte, dass das Buch auch ein Porträt der chinesischen Gesellschaft und ein lesenswerter historischer Abriss ist. Eine objektive, umfassende und detaillierte Geschichte Chinas darf man natürlich nicht erwarten. Dazu ist das Geschehene zu emotional eingefärbt und der Blickwinkel zu eingeschränkt, vor allem, da Großvater Peng natürlich nur einen Ort erlebt. Eine gewisse Allgemeingültigkeit allerdings besteht trotzdem. Xifan Yang kam übrigens fast zur gleichen Zeit nach China wie Evan Osnos. Viele der Dinge, die sie beschreibt, finden sich auch in Osnos Große Ambitionen wieder, wobei letzterer einen sehr deutlichen Fokus auf die aktuellen Geschehnisse in China legt und die Geschichte nur wo nötig behandelt.


Xifan Yang: Als die Karpfen fliegen lernten. China am Beispiel meiner Familie. Hanser 2015. 333 Seiten, € 19,90.

Das Zitat stammt von S. 59

Weitere Texte der Autorin über China und viel mehr sind auf ihrer Website zu finden.

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