Margaret Atwood: Payback

Seitdem ich vor ungefähr zwei Jahren Thomas Piketty gelesen habe, bilde ich mir ein, etwas von Wirtschaft zu verstehen. Das ist so nicht richtig. Ich verstehe nicht mehr nichts von Wirtschaft, aber nun ja… Ich dachte, wie so oft könnte Atwood helfen und habe mir Payback gekauft, in dem es, wie der Untertitel verspricht, um „Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands“ gehen soll. Geht es auch, aber Wirtschaft kommt halt quasi nicht vor. Viel mehr betrachtet Atwood das ganze Dilemma aus einer kulturhistorischen Perspektive, was es nicht weniger interessant macht. Wie man es erwartet, ist ihr Text natürlich sowohl sehr fundiert und informativ, aber auch sehr unterhaltsam.

Atwood_Payback

Sie beginnt ganz vorne. Aufzeichnungen über Schulden sind so alt wie die Schrift, Schulden offenbar noch viel älter. Es scheint keine Gesellschaft gegeben zu haben, in der niemals jemand Schulden gemacht hat, der Umgang damit war und ist aber sehr unterschiedlich. Vor allem in der Frage, was eigentlich passiert, wenn man seine Schulden wirklich nicht mehr in Geld zurückzahlen kann. Kann man sich selbst als Lohnsklave anbieten? Seine Frau, seine Kinder? Kann man, etwa wenn man bei einem Gott in der Schuld steht, etwas anderes opfern, einen Stier oder einen Menschen? Konnte man und kann man. Nicht immer kann man Schulden mit materiellen Mitteln ausgleichen. Atwood führt den „Paten“ als Beispiel an – ein Gefallen kann nur mit einem Gefallen ausgeglichen werden, so unschön das auch werden mag.

„Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein.“

Schulden muss man zahlen, Schulden darf man eintreiben, so verlangt es der Gerechtigkeitssinn. Wenn die materiellen Mittel nicht ausreichen, eine Lohnversklavung nicht in Frage kommt, dann bleibt dem Gläubiger immer noch die Rache. Nichts anderes waren Schuldtürme und sind Haftstrafen für nicht bezahlte Schulden. Geld sehen die Gläubiger so auch nicht, aber zumindest moralisch scheint das Gleichgewicht wieder hergestellt zu sein. Und was wir im Leben nicht ins Lot bringen können, müssen wir nach unserem Tod büßen.

Nicht fehlen dürfen bei der Betrachtung natürlich zwei literarische Archetypen – Dr. Faustus und Ebenezer Scrooge. Ersterer als Schuldner, der nicht weniger als seine Seele verpfändet hat, letzterer als gieriger Gläubiger, der weder sich noch anderen etwas gönnt, am Ende aber erkennen muss, dass das Beharren auf Recht und Eigentum ihn nicht weit bringen wird. Scrooge widmet Atwood sogar eine eigene kurze Erzählung, in der ‚Scrooge Nouveau‘, wie sie ihn nennt, Eigentümer mehrerer Kapitalgesellschaften ist und nach der Begegnung mit drei Geistern schockiert erkennen muss, dass sein Geschäftsgebahren ruinös für den ganzen Planeten ist. Die Passage hätte es nicht unbedingt gebraucht, aber gut. Offenbar wollte Atwood nochmal sagen, dass nur 1,5% aller Spendengelder in den Umweltschutz fließen und sie das sehr wenig findet. Was es ja auch wirklich ist, mich hat das tatsächlich sehr überrascht.

Spannend sind auch Atwoods Betrachtungen darüber, wie sich die Sympathien zwischen Gläubigern und Schuldnern stetig verschieben. Lange Zeit war das Verleihen von Geld ein höchst verpöntes Gewerbe und Geldverleiher wurden mit Verachtung gestraft. Heute sind es eher die Schuldner, die misstrauisch beäugt werden, auch wenn das Anhäufen von Schulden ein höchst verbreitetes Phänomen ist und so selbstverständlich wie selten zuvor. Am Ende aber sind Schuldner und Gläubiger immer zwei Seiten der gleichen Medaille und könnten ohne einander natürlich gar nicht existieren. Atwood zitiert in ihrem letzten Kapitel ein Gedicht von Blake: „Mitleid könnte nicht bestehen, entstünde Armut nicht aus Gier; Erbarmen müsste untergehen, wenn alle so  glücklich wären wie wir“.


Margaret Atwood: Payback. Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands. Übersetzt von Bettina Abarbanell, Grete Osterwald, Sigrid Ruschmeier, Gesine Strempel und Brigitte Walitzek. Berliner Taschenbuch Verlag 2009. 262 Seiten,  € 8,99. Originalausgabe: Payback. Debt and the Shadow Side of Wealth. House of Anansi Press 2008.

Das erste Zitat wird mehrfach im Buch verwendet, u.a. auf S. 239, Blake wird auf S. 225 zitiert.

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