Kurze Runde

Heute gibt es eine kurze Runde durch drei Bücher: in Dismatria schildert die Autorin Igiaba Scego ihre Rassismus-Erfahrungen in Italien, Jonathan Lethem erzählt in Alan, der Glückspilz von Alltäglichem wie Absurdem und Dilek Güngör befasst sich in Ich bin Özlem mit den Identitäts-Fragen einer Tochter türkischer Eltern.

Entwurzelt

Dismatria und weitere Texte von Igiaba Scego

Die Autorin Igiaba Scego ist in Italien als Journalistin, Schriftstellerin und Rednerin bekannt. Dabei  gilt ihr Interesse vor allem dem Kolonialismus und dem Rassismus. Scego wurde in Italien geboren, ihre Eltern stammen allerdings aus Somalia. Somalia ist für sie vor allem das Land ihrer Mutter, das ihr ewig verschlossen bleibt, ausgedrückt in dem von ihr geprägten Begriff „Dismatria“. Für Scego selbst ist ein Leben in Somalia keine Option, zugleich aber fällt es ihr schwer, in Italien Heimat zu finden. Im Freiburger nonsolo Verlag sind nun drei ihrer Texte in deutscher Übersetzung erschienen, ergänzt durch ein ausführliches Vorwort der Romanistin Martha Kleinhans. Einen wenig beachteten Blickwinkel bietet dabei vor allem der Text „Als die Italiener keine Weißen waren“, der sich mit Ressentiments gegenüber italienischen Einwander*innen in den USA befasst und erneut verdeutlicht, wie subjektiv und bar jeder objektiven Grundlage rassistische Konstrukte sind.

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Jhumpa Lahiri: Mit anderen Worten

Mit dem Untertitel Wie ich mich ins Italienische verliebte erzählt Jhumpa Lahiri in diesem Buch von ihrer Leidenschaft für und ihrem Weg zum Italienischen. Die Begeisterung für diese Sprache entdeckt sie schon früh bei einer Studienreise nach Florenz. In ihrem Leben hat sie keinerlei Verwendung fürs Italienische, dennoch beginnt sie es zu lernen, zunächst mit einem Selbstlernkurs und mäßigem Erfolg. Viele Jahre später unternimmt sie einen weit radikaleren Schritt und zieht mit ihrer Familie für drei Jahre nach Rom. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits eine gefeierte Schriftstellerin und hat mit The Lowland einen riesigen Erfolg gefeiert. Sie zieht in die Via Giulia, die in der römischen Altstadt liegt (falls das jemand wissen möchte: sie beginnt knapp südlich der Ponte Vittorio Emanuele II und verläuft dann, sich dem Tiber stetig annähernd, bis zur Ponte Sisto) und stürzt sich kopfüber in das Sprachabenteuer.

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Essen aus Büchern: Waterzooi aus Teju Coles „Open City“

In Open City hält Cole sich hauptsächlich in New York auf, wo er mich mit schon mit Groundnut Stew sehr glücklich gemacht hat. In seinem Urlaub reist er allerdings auch nach Brüssel, wo er mit einer zufälligen Flugzeugbekanntschaft Essen geht. Auch wenn Brüssel nicht in Flandern liegt, bestellt die Dame waterzooi, einen flämischen Eintopf.

Waterzooi ist ursprünglich ein Fischgericht, wird in einigen Gegend aber auch traditionell mit Huhn zubereitet, was heute die allgemein populärere Variante ist. Übersetzt heißt das Gericht in etwa „Wassersud“ und stammt aus dem ostflämischen Raum. Mittlerweile existieren natürlich hunderte Varianten der Suppe, ich habe für diesen Beitrag ein paar Rezepte zusammengeworfen.

Cole ist mit seinen Angaben im allgemeinen sehr präzise und nennt auch den Namen des Restaurants, allerdings konnte ich es nicht ausfindig machen und weiß nun nicht, welche Variante des waterzooi serviert wurde. Ist auch nicht so wichtig, gegessen wird es ohnehin nicht:

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Margaret Atwood: Payback

Seitdem ich vor ungefähr zwei Jahren Thomas Piketty gelesen habe, bilde ich mir ein, etwas von Wirtschaft zu verstehen. Das ist so nicht richtig. Ich verstehe nicht mehr nichts von Wirtschaft, aber nun ja… Ich dachte, wie so oft könnte Atwood helfen und habe mir Payback gekauft, in dem es, wie der Untertitel verspricht, um „Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands“ gehen soll. Geht es auch, aber Wirtschaft kommt halt quasi nicht vor. Viel mehr betrachtet Atwood das ganze Dilemma aus einer kulturhistorischen Perspektive, was es nicht weniger interessant macht. Wie man es erwartet, ist ihr Text natürlich sowohl sehr fundiert und informativ, aber auch sehr unterhaltsam.

Atwood_Payback

Sie beginnt ganz vorne. Aufzeichnungen über Schulden sind so alt wie die Schrift, Schulden offenbar noch viel älter. Es scheint keine Gesellschaft gegeben zu haben, in der niemals jemand Schulden gemacht hat, der Umgang damit war und ist aber sehr unterschiedlich. Vor allem in der Frage, was eigentlich passiert, wenn man seine Schulden wirklich nicht mehr in Geld zurückzahlen kann. Kann man sich selbst als Lohnsklave anbieten? Seine Frau, seine Kinder? Kann man, etwa wenn man bei einem Gott in der Schuld steht, etwas anderes opfern, einen Stier oder einen Menschen? Konnte man und kann man. Nicht immer kann man Schulden mit materiellen Mitteln ausgleichen. Atwood führt den „Paten“ als Beispiel an – ein Gefallen kann nur mit einem Gefallen ausgeglichen werden, so unschön das auch werden mag.

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Rebecca Solnit: Wenn Männer mir die Welt erklären

Als ich an meinem derzeitigen Arbeitsplatz anfing, kam ich als Ersatz für einen ca. 50jährigen Kollegen. Er erklärte mir alles. Alles alles. Wie die relevanten Computerprogramme funktionieren (nützlich, zugegeben), wie eine Rechnung aufgebaut ist, dass es nicht klug war, in eine Dachgschoss-Wohnung zu ziehen und wie der Wasserkocher funktioniert. Es war völlig egal, wie oft ich sagte, dass ich um die mitunter problematischen Isolierungen von Dachgeschossen weiß, dass ich Rechungen schreiben und zahlen kann und auch schon mal Tee gekocht habe. Er redete und redete und redete. Und hinterließ mir, als er ging, ein heilloses Durcheinander, weil er mir zum Beispiel nicht erklärt hatte, welche Bestellungen er für die nächsten Monate schon getätigt hatte oder wo in seinem Chaos ich diese Infos finden konnte. Aber hey, der Wasserkocher, danke nochmal. Mansplaining in Höchstform?

Der Begriff des Mansplaining wird oft Rebecca Solnit zugeschrieben. Sie selbst ist nicht dieser Ansicht, unbestreitbar aber war ihr Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“ ausschlaggebend für die Diskussion um diese Thematik und führte letzlich mit zur Prägung des Begriffs. In diesem titelgebenden Essay berichtet sie von einer Party, bei der ihr Gastgeber ihr begeistert von einem neuen, ganz wichtigen Buch über den Fotografen Muybridge erzählte. Solnits Begleitung versuchte mehrfach, ihm zu sagen, dass Solnit selbst dieses Buch geschrieben hat. Vor lauter Selbstgefälligkeit hörte der Gastgeber diesen Hinweis aber erst beim dritten Mal und musste kleinlaut zugeben, dass er das Buch nicht mal gelesen hatte.

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