In den späten 1950ern verpflichtet sich der Baptisten-Prediger Nathan Price als Missionar nach Belgisch Kongo zu gehen. Die Missionsleitung rät ab, zu unsicher ist die politische Situation im Kolonialstaat. Doch unbeirrt packt Reverend Price seine Frau Orleanna und die Töchter Rachel, Leah, Adah und Ruth May in ein Flugzeug gen Afrika. Ziel der Reise ist Kilanga, ein kleines Dorf mitten im Dschungel. Und dort ist alles ganz anders als erwartet.
Die einheimische Bevölkerung ist nämlich gar nicht so begeistert von der versprochenen Erlösung und die absurde Idee, sich im Fluss taufen zu lassen, stößt auf blankes Entsetzen. Der mühsam angepflanzte Garten, der ein Schaustück für Gottes Schöpfung werden sollte, geht jämmerlich ein. Und am Ende stellt sich heraus, dass die wenigen Gemeindemitglieder, die jeden Sonntag kommen, nicht etwa bekehrt sind, sondern schlicht keine andere Wahl mehr sehen. Es sind die Aussätzigen, die Mörder und alle anderen Verdammten, von denen die richtigen Götter und auch das Dorf nichts mehr wissen wollen. Doch all das kann Nathan Price nicht aufhalten, der nun einmal den Ruf des Herrn vernommen hat. Seine Familie verzweifelt derweil an den Umständen und wünscht sich nichts sehnlicher als den Heimflug.
In Nathans Augen ist das mangelnder Glaube an göttliche Fürsorge. Der Herr wird es weisen und manchmal erschließen sich seine Wege eben nicht auf den ersten Blick. Die Prices bleiben. Auch, als der Kongo endlich die langersehnte Unabhängigkeit erkämpft und Lumumba Premierminister wird. Auch, als alle anderen Missionare Hals über Kopf das Land verlassen. Und auch, als Nachrichten nach Kilanga gelangen, dass andernorts Weiße verfolgt und erschossen werden. Und natürlich auch, als Orleanna verzweifelt darum bittet, wenigstens die Mädchen in Sicherheit bringen zu dürfen. Schließlich gibt sie auf und verlässt ihr Bett einfach nicht mehr. Den Mut und die Kraft zu einer ernsthaften Auflehnung gegen ihren willensstarken Ehemann aber findet sie nicht.
„From the time we first set foot in Kilanga things were going wrong, though we couldn’t see it.“
Erzählt wird die Geschichte abwechselnd von den Frauen und Mädchen der Familie. Angefangen bei Mutter Orleanna bekommt jede der fünf die Chance, ihren Teil der Geschichte zu erzählen. Sie alle erleben die Zeit in der belgischen Kolonie völlig unterschiedlich und manchmal wirkt diese Rollenverteilung fast schon zu programmatisch. Von völligem Unverständnis gegenüber der als primitiv empfundenen Bevölkerung (Rachel) bis zu kindlicher Faszination und Unvoreingenommenheit (Ruth May) ist alles dabei. Vater Nathan ist natürlich das Inbild der selbstgerechten Kolonialherrschaft während seine Frau, obwohl selbst sehr passiv, sich durch ihren fehlenden Widerstand mitschuldig macht. Mit Anatole, einem Lehrer aus dem Dorf, der auch Englisch spricht, kommt die Stimme der kongolesischen Bevölkerung in den Roman, die sich nach viel zu langer Kolonialherrschaft gegen ihre Unterdrücker auflehnt. In Leah findet er eine dankbare und wissbegierige Zuhörerin. Ihr (und allen, die es lesen) erklärt er, was es mit dem Freiheitskampf auf sich hat und warum der europäische Weg nicht immer der richtige ist. The Poisonwood Bible ist in seiner Grundstruktur ein Familienroman, es ist aber auch vor allem ein politisches Buch, das die Grausamkeiten der Kolonialherrschaft thematisiert und den langsamen und beschwerlichen Wandel von einem besetzen Land zu einer eigenständigen Republik. Und das nicht immer ganz subtil.
Die Handlung des Romans wird nur über die verschiedenen Berichte erzählt, ist also immer mittelbar. Die Töchter sind zeitlich näher dran am Geschehen und berichten vom Erlebten noch während sie im Kongo sind. Ihre Mutter erzählt mit einigen Jahren Abstand, als sie schon wieder in den USA ist. Diese Erzählweise macht natürlich diverse Perspektiven möglich, gelegentlich zieht der Roman sich dadurch allerdings auch ganz schön, vor allem wenn ein und dieselbe Episode von mehreren Mädchen nacheinander erzählt wird.
Zudem bleiben die Mädchen zu sehr in ihren Rollen. Rachel ist nicht sehr smart und überhaupt nicht verständnisvoll und das bleibt sie den ganzen Roman hindurch. Auf keiner Seite ist sie etwas anderes als ein quängeliger Teenager. Leah ist hingegen sehr klug und verständnisvoll, sieht immer alles ein und versteht jede Situation. An vielen Stellen wirken die Mädchen dadurch wie Stereotype und nicht wie sich entwickelnde, nuancierte Charaktere.
Als Kolonialroman lässt sich The Poisonwood Bible allerdings gut lesen. Kingsolver streut an vielen Stellen ein bisschen Geschichte und ein bisschen Politik ein, so dass man zumindest einiges an Fakten aus dem Roman mitnehmen kann. Allerdings werden eben diese Fakten zum Teil auch recht grob und hölzern in die Berichte der Mädchen eingebunden, so dass die Afrika-Lektionen mitunter ermüdend werden. Kingsolver hat als Kind selbst einige Zeit in Afrika gelebt und man merkt, dass es ihr eine Herzensangelegenheit ist, diesem zerrütteten Kontinent endlich Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Die Kolonisierenden sollen bestraft werden für das, was sie den dortigen Menschen angetan haben und vor allem sollen sie endlich ihre Finger aus der afrikanischen Politik lassen. Diese Meinung lässt sie ihre Charaktere deutlich und dezidiert formulieren. Und das ehrt sie. Trotzdem schwächelt ihr Roman an einigen Stellen ganz erheblich.
Barbara Kingsolver: The Poisonwood Bible. Gelesen in der Ausgabe Harper 2005. Originalausgabe Harper 1998. Lieferbar in der Ausgabe Harper 2008. 576 Seiten, ca. € 9,-. In deutscher Übersetzung 2002 erschienen unter dem Titel Willkommen in Kilanga und 2012 in Neuauflage unter dem Titel Die Giftholzibel jeweils bei Piper. Übersetzt von Anne Ruth Frank-Strauss. 592 Seiten. Leider sind derzeit beide Ausgaben nicht lieferbar.
Das Zitat stammt von S. 352 der oben genannten Ausgabe.
Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.
Liegt bei mir auch auf dem SuB, muss ich bald mal lesen!
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Stand ewig bei mir im Regal, dann irgendwann mal schuldbewusst hineingelesen, bin aber nicht weit gekommen und ich habe es verschenkt. War irgendwie nicht meins. Freue mich aber über Deine Rezension, jetzt weiss ich endlich was ich verpasst habe (oder auch nicht) 🙂
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