Jean-Paul Sartre: Der Ekel

Der Ekel, 1938 erschienen, ist Sartres erster Roman. Heute gilt er als eines der Standardwerke des Existenzialismus. Das klingt groß und kompliziert und sperrig – ist es aber nicht. Tatsächlich ist es ein sehr lesbarer, geradliniger und über lange Strecken sogar sehr unterhaltsamer Roman, den ich in nur wenigen Tagen gelesen habe.

„Ich fragte mich für einen Augenblick, ob ich die Menschen nicht lieben könnte.“

Der Roman handelt von Antoine Roquentin, der nach langen Reisen in die (fiktive) französische Stadt Bouville gekommen ist, um dort an seinem Buch über den Marquis de Rollebon zu arbeiten. Er lebt einsam und zurückgezogen, worunter er manchmal leidet. Allerdings ist es ihm auch fast nicht möglich, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen. Er fühlt sich nicht als Teil der Masse und empfindet oft sogar Ekel, wenn er in Gesellschaft ist. Allerdings weniger vor den Menschen selbst als vor der Existenz an sich und der Existenz die diese Menschen führen, so wie er selbst auch.

sartrederekel

Die reine Existenz von Dingen, die er berührt verursacht in ihm einen Ekel, der ihn lähmt. Es quält ihn, dass er nichts gegen seine eigene Existenz unternehmen kann, denn selbst nach dem Tod wäre er da, in Form von totem Fleisch und Knochen. Die Grundlosigkeit aller Existenz ist für ihn nicht zu verkraften. Über Tage kann Roquentin ohne diesen Ekel leben, aber die nächste Welle ist unvermeidbar.

Damit ist eines der Grundkonzepte des Existenzialimus schon mal angerissen. Auch das „Nichts“, das Sartre fünf Jahre später in Das sein und das Nichts ausführt, hat einen kurzen Auftritt. Der Fokus des Romans ist tatsächlich auf den philosophischen Konzepten, auf dem Gefühl des Ekels. Viel Handlung gibt es nicht. Der Ekel ist in Form eines Tagebuchs verfasst, das vor allem die Gedanken des Protagonisten bewahrt. Roquentin erlebt nicht viel, er geht in die Bibliothek um zu schreiben und manchmal geht er spazieren. Sein einziger Kontakt ist ein Mann, den er „der Autodidakt“ nennt und der ebenfalls täglich in der Bibliothek ist. Zwei mal treffen die beiden Männer sich auch privat, wobei das zweite Treffen zu Roquentins erster großer Krise und einem Wendepunkt im Roman führt.

Das düstere, einsame Umherstreifen und die teils bewusst gewählte Einsamkeit haben mich an Pessoas Hilfsbuchhalter Soares erinnert. Roquentins Aufzeichnungen aber sind reduzierter, präziser und zielgerichteter. Auch in seinen theoretischen und philosophischen Texten fand ich Sartre meistens sehr straight und lesbar – was nicht heißt, dass ich immer alles verstanden hätte. Ich finde Sartre oft auch wirklich witzig und weiß nicht, ob das seine Intention war. Das schwierige an diesem Text ist nicht, ihn auf einer sprachlichen Eben zu verstehen, sondern die Konzepte dahinter zu erfassen. Ich bin nicht sicher, ob mir das lückenlos gelungen ist, ich glaube aber eigentlich nicht.

Der Ekel ist kein Buch, das man beim ersten Lesen einfach so versteht. Aber das macht auch nichts, es ist nämlich gut genug um es irgendwann nochmal zu lesen. Bis dahin kann man ein paar der Ideen im Hinterkopf ablegen und sehen, ob sie sich vielleicht entwickeln.


Jean-Paul Sartre: Der Ekel. Übersetzt von Uli Aumüller. 346 Seiten, € 9,99. 58. Auflage 2016. Erstveröffentlichung rowohlt 1982. Titel der Originalausgabe: La Nausée. Gallimard 1938.

Das Zitat stammt von S. 88.

3 Gedanken zu “Jean-Paul Sartre: Der Ekel

  1. Juliane 13. April 2017 / 16:21

    Ich nehme mir auch schon lange vor, mal was von Sartre zu lesen, scheue mich dann aber immer wieder davor, weil er doch so ein großer Philosoph war und ich Angst habe, nichts zu verstehen. Aber deine Besprechung macht mir Mut und du hast vollkommen Recht: Wenn man auch nur irgendetwas aus einem Buch für sich mitnehmen kann, ist das doch schon mal toll. Also next step: Sartre! 😉
    Liebe Grüße
    Juliane

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    • Marion 13. April 2017 / 19:40

      Go, get ‚em! Keine Angst vor großen Namen, schlimmstenfalls versteht man halt nichts 🙂
      Muss man ja keinen sagen, aber Butler hab ich auch nach zehn Seiten abgebrochen, nachdem ich nicht einen Satz kapiert hatte.

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