1996 explodiert eine Bombe auf einem Marktplatz in Delhi. Es ist eine kleine Bombe, es werden nur 13 Personen getötet und 30 weitere verletzt. Verantwortlich zeigt sich eine islamische Organisation, die vor dem Hintergrund des Kaschmir-Konflikts handelt. Der Konflikt zwischen Hindus und der muslimischen Minderheit in Delhi ist für die Bewohner der Stadt nichts Ungewöhnliches, auch Sprengstoffattentate sind keine Seltenheit.
„And you know what happens when a bomb goes off? The truth about people comes out.“
Aber für das Ehepaar Khurana ändert sich mit dieser Explosion alles. Sie verlieren ihre beiden Teenager-Söhne Tushar und Nakul. Mansoor, ein enger Freund der beiden Jungen, wird schwer verletzt. Der Vorfall stellt das Verhältnis der Khuranas und den Eltern Mansoors auf eine harte Probe, denn Mansoor ist Moslem.
Auch wenn er mit dem Leben davongekommen ist, hat Mansoor lange an den Folgen des Attentats zu leiden. Er hat Angst vor öffentlichen Plätzen und verlässt das Haus seiner Eltern kaum noch. Außerdem macht er sich schwere Vorwürfe, weil er im ersten Schock nach der Explosion einfach davongelaufen ist. Ihm war klar, dass seine Freunde nicht überlebt haben konnten, aber er hätte bei ihnen bleiben können, bis Hilfe kommt. Isoliert von der Außenwelt beschäftigt er sich viel mit seinem Computer und will schließlich Programmierer werden. Doch die Spätfolgen des Attentats hindern ihn auch daran, seine verletzten Handgelenke ertragen die starke Belastung nicht.
Eher zufällig gerät er in dieser Zeit in eine Gruppierung, die mit friedlichen Mitteln auf die schwierige Lage der muslimischen Bevölkerung aufmerksam machen will. In Mansoors Leben spielt Religion bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar keine Rolle, er betet nicht und versucht eher, seine Herkunft aus Furcht vor Diskriminierung zu verbergen. In dieser Gruppe aber trifft er Ayub, der sehr religiös ist und Mansoor überzeugen kann, dass der Glaube seine Schmerzen viel schneller wird heilen können als jede Wissenschaft. Unter seinem Einfluss wird Mansoor religiös, viel mehr als seine Eltern, und lehnt seine bisherigen Moralvorstellungen zunehmend ab.
Die Khuranas versuchen, den entscheidenden Bruch in ihrem Leben auf andere Art zu verarbeiten. Nach einer heftigen Ehekrise haben sie die „Association of Small Bombs“ ins Leben gerufen. Sie versuchen, den Verletzten und Hinterbliebenen von Bombenattentaten zu helfen. Denn, so ihre Erfahrung, anders als bei einem großen Unglück mit vielen Opfern ist man nach einem Zwischenfall mit so wenigen Toten ziemlich auf sich allein gestellt. Auch sechs Jahre nach dem Tod ihrer Söhne gibt es keine Verurteilungen und erst recht nicht die finanzielle Unterstützung, die ihnen zugesichert wurde.
Kurz gesagt erzählt der Roman von verschiedenen Wegen, mit Trauer umzugehen, von Gewalt und ihrer Rechtfertigung und von religiöser Radikalisierung. Das besondere dabei ist, dass beide Seiten gleichberechtigt dargestellt werden, die der „Opfer“ und die der „Täter“ bzw. ihrer Sympathisanten. Oft aber sind diese beiden Lager, wie in Mansoors Fall, gar nicht so leicht zu trennen. Darüber, wer juristisch schuldig ist oder nicht, entscheidet letzlich ein Gericht. Die moralische Schuld oder Unschuld aber ist eine völlig andere Frage, die Entscheidung darüber gänzlich subjektiv.
Als Idee klingt das sehr interessant, das Buch hat mich leider aber nicht überzeugt, schon gar nicht nach den vielen überschwänglichen Kritiken. An sehr vielen Stellen ist die Handlung zu vorhersehbar, vor allem Mansoors langsamer Weg von einem Jungen, für den Religion nur ein zufälliger Faktor seines Lebens ist zu einem überzeugten Moslem. Zudem bleibt der Roman sehr stark bei Mansoor bzw. der Gruppe, der er sich angeschlossen hat, und ist zu wenig bei den Khuranas. Dadurch wirkt ihre gesamte Entwicklung, ihre bröckelnde Beziehung und besonders ihre Trauerbewältigung fragmentarisch und nicht immer motiviert. Die beiden Erzählstränge, die eigentlich gleichberechtigt und gleich wichtig nebeneinander stehen, geraten dadurch aus dem Gleichgewicht.
Mahajans Roman behandelt zweifelsohne ein wichtiges und aktuelles Thema. Die Brillanz, die ihm häufig attestiert wird, sehe ich allerdings nicht, so wahnsinnig originell sind seine Ansätze dann auch nicht. In der literarischen Umsetzung dieser Ideen steuert er manchmal so stramm auf sein Ziel zu, dass die Entwicklung der Figuren dabei auf der Strecke bleibt.
Karan Mahajan: The Association of Small Bombs. Chatto & Windus 2016. 276 Seiten, ca. € 12,-. Erstausgabe Viking 2016. Unter dem Titel In Gesellschaft kleiner Bomben erscheint der Roman in deutscher Übersetzung im Mai 2017 bei CulturBooks.
Das Zitat stammt von S. 223