Émile Zola: Das Paradies der Damen

Zola_DasParadiesDerDamen„wenn das, was man heute Handel nennt, ein solches Herumgestoße ist, dann verstehe ich nichts mehr davon und will lieber meiner Wege gehen.“

Als Denise Baudu, Heldin des Romans, nach Paris kommt, ist ihre Lage verzweifelt. Vor mehr als einem Jahr sind die Eltern gestorben, sie muss als Verkäuferin für sich und ihre kleinen Brüder Jean und Pépé sorgen. Zum Glück hat ihr beim Tod des Vaters ein Onkel, der in Paris einen Stoffladen betreibt, Unterkunft und Arbeit angeboten. Jetzt endlich reisen die drei in die Hauptstadt, doch noch bevor sie den Laden erreichen, werden sie gefesselt von den protzigen Schaufenstern des „Paradies der Damen“, einem gigantischen Modehaus, das alle anderen Geschäfte in der Nachbarschaft überstrahlt. Onkel Baudu ist sehr überrascht vom unangekündigten Besuch und peinlich berührt – die Geschäfte laufen, vor allem wegen der übermächtigen Konkurrenz, ziemlich schlecht, er kann den Geschwistern weder Einkommen noch Unterkunft bieten. In der Nachbarschaft sieht es nicht besser aus, alle klagen über rückläufige Umsätze. Seit das Paradies mit seinen lichtdurchfluteten Hallen und den niedrigen Preisen lockt, verirren sich nur noch wenige treue Kundinnen in die stickigen Geschäftsräume der alteingesessenen Händler. Am Ende bleibt Denise nichts anderes übrig, als beim Paradies selbst vorstellig zu werden, wo sie auch tatsächlich für die Konfektionsabteilung engagiert wird.

Betrieben wird das Paradies von Mouret, dessen jung verstorbene Frau sehr viel Geld mit in die Ehe gebracht hat, und ihm so die ersten bescheidenen Anfänge ermöglicht hat. Nun explodiert das Geschäft. Mit hoch riskanten Investitionen erreicht er mittlerweile Umsätze von mehreren hunderttausend Francs am Tag und die Damen der Bürgerschaft liegen ihm zu Füßen. Seine Geschäftspraktiken sind revolutionär. Er räumt Käuferinnen ein Umtauschrecht ein, beteiligt seine Verkäufer an jedem Umsatz und lockt die Massen mit billigen Angeboten im Eingangsbereich. Die Ausgaben für Werbung schnellen in nie gesehene Höhen. Das alles macht heute fast jedes Geschäft, im 19. Jahrhundert aber waren das neue und brillante Ideen. Er versteht es, die Damenwelt und damit die Käuferinnen zu becircen, verschenkt Blumen und Ballons für die Kinder, richtete Lesesäle ein und schafft eine Parallelwelt für die bürgerlichen Damen, in der diese sich, auch ohne Gatte oder andere Begleitung, frei bewegen können. Denn schließlich geht man ja nur einkaufen.

Denise könnte in dieser Welt fremder nicht sein. Mit nur einem einzigen einfachen Wollkleid, schlichter Frisur und unendlicher Sanftmut kommt sie als Unschuld vom Lande in diesen Tumult. Entsprechend hart ist auch die erste Zeit in der Stadt. Sie verdient so schlecht, dass sie nicht einmal ihre klobigen Stiefel ersetzen kann, lebt in einer ärmlichen Kammer in der Gemeinschaftsunterkunft der Verkäuferinnen und ist entsetzt über die losen Sitten ihrer Kolleginnen. Dennoch, oder vielleicht gerade weil sie so anders ist, findet Mouret großen Gefallen an ihr.

Das Bild, das Zola vom Alltag im Warenhaus zeichnet, ist faszinierend und abschreckend zugleich, vor allem aber akkurat. Vor dem Verfassen des Romans hat der Autor, Naturalist der er nun mal war, sich umfassend mit der Materie auseinandergesetzt.

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Les Grands Magasins du Louvre in einer Darstellung von 1877.

Angelehnt an real existierende Häuser wie das „Au Bon Marché“ oder die „Grands Magasins du Louvre“ erschafft er eine, er selbst nutzt diese Metapher gerne, Konsumkathedrale mit freischwebenden Brücken, Galerien und riesigen überdachten Lichthöfen. Vorsteher der Gemeinde ist Mouret, der gerne von den Galerien auf die kaufwütigen Massen hinabblickt und immer neue Ideen findet, um seinen Profit zu maximieren. Sein Bild von den kaufenden Frauen ist dabei ein recht negatives. Er hält sie für leicht manipulierbar und brüstet sich, mit einfachen Tricks immer mehr Geld aus ihren Taschen ziehen zu können. Den anderen Handel will er, das betont er immer wieder, gar nicht schädigen, aber man könne ja auch nicht von ihm verlangen, dass er sich selbst zugrunde richtet. Dessen ungeachtet scheut er keine Mühen, immer mehr Häuser in seinen Besitz zu bringen und sie dem gigantischen Komplex, der das Paradies mittlerweile ist, einzuverleiben.

Auch das Leben der im Warenhaus Arbeitenden wird schonungslos porträtiert. Der Verdienst der meisten Angestellten war überaus gering, die Arbeit hart und die Gesundheit bei vielen entsprechend angegriffen. Die Freizeit war knapp und wer in den hauseigenen Unterkünften wohnte, musste sich, auch als erwachsener Mensch, Ausgang am Abend genehmigen lassen, bei Verstößen drohte die Kündigung. Zudem wurden in wirtschaftlich schwachen Zeiten regelmäßig große Mengen Angestellter von heute auf morgen vor die Tür gesetzt. Selbst die Mahlzeiten werden im „Paradies“ verpflichtend in der Kantine eingenommen, deren Qualität mehrfach Anlass zu Ärger gibt.

Ein wenig Milderung verschafft Denises Einsatz. Sie merkt schnell, welchen Einfluss sie auf Mouret hat, und nutzt diesen, um kleine Verbesserungen und Linderungen für die Belegschaft durchzusetzen. Mouret folgt ihren Empfehlungen gerne, denn letztendlich bedeuten fittere, zufriedenere Angestellte mehr Umsatz für ihn. So ist denn auch die Beziehung zwischen Mouret und Denise, die recht schnell eine wichtige Stellung bekommt, hart an der Grenze zum Groschenromankitsch. Sie ist und bleibt die unfehlbare Unschuld vom Land, sanft, liebevoll und geduldig, immun gegen die Versuchungen der Großstadt, er ist der strahlende, machtbesessene Krösus und doch ist es Liebe. Zumindest von seiner Seite, Denise hadert lange mit ihren Gefühlen. Sie will, sie kann sich in der Reinheit ihres Wesens keinem Mann hingeben und er, der bisher immer nur kokette Weiber hatte, hält ihre Zurückhaltung für einen Trick, um mehr Geschenke aus ihm herauszupressen. Sie wiederum kann nicht glauben, dass er sich wandeln wird und vom frauenverachtendenen Galan zum liebenden Ehemann werden kann. Diese Liebesgeschichte einmal ausgeklammert ist der Roman ein spannender Blick in den frühen Wandel des Handels. Besonders deshalb, weil viele Diskussionen bis heute, mehr als 100 Jahre später, fast unverändert noch geführt werden. Masse gegen Qualität, niedrige Preise gegen kompetente Beratung – alles schon ein paar mal gehört, verfilmt, berichtet. Die Größe des neuen Handels ist geblieben, den Glamour aber lässt das durchschnittliche Einkaufszentrum vermissen. Liest man Das Paradies der Damen mit Blick auf diese Aspekte, ist der Roman unbedingt lesenswert und sehr faszinierend. Die merkwürdige Liebesgeschichte nimmt man dann eben in Kauf.


Émile Zola: Das Paradies der Damen. Übersetzt von Hilda Westphal, mit einem Nachwort von Getrud Lehnert. dtv 2013. 575 Seiten, € 12,90. Diese Fassung der Übersetzung erschien erstmals 1963 im Rahmen der Ausgabe Die Rougon-Macquart, einem zwanzigbändigen Romanzyklus von Zola, dessen 11. Band Das Paradies der Damen ist. Originalausgabe: Au Bonheur des Dames. 1883.

Das Zitat stammt von S. 32

3 Gedanken zu “Émile Zola: Das Paradies der Damen

  1. literaturreich 15. November 2016 / 18:40

    Das klingt wirklich sehr interessant und aktuell und ist ein Roman, von dem ich noch nicht gehört habe. Danke für den Tipp! LG Petra

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  2. dj7o9 17. November 2016 / 10:48

    Das habe ich noch hier stehen und freue mich jetzt noch mehr darauf 🙂

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