„Wo keine Unterschiede bestehen, werden welche konstruiert – was sowohl ‚imaginiert‘ heißen kann als auch: ‚wahr gemacht‘. Vielmehr geht es um koloniales Denken, welches sich darum dreht, Privilegien sichern und legitimieren zu wollen.“
Ich hab es bereits mehrfach erwähnt – Kolonialliteratur kriegt mich immer. Es fällt mir schwer, zu sagen warum. Ich glaube, es ist die Absurdität des ganzen Konzepts und all der damit verbundenen Unterfangen. Die Faszination ist zweifellos eine morbide.
Wie sehr der Kolonialismus auch nach seinem offiziellen Ende noch das Leben vieler Menschen beeinflusst, muss jedem klar werden, der sich mit der Situation in den ehemals kolonisierten Ländern befasst. Was einem, zumindest als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft, sicher weniger auffällt, ist die Tatsache, wie sehr die Konzepte, die entwickelt wurden, um Kolonialisierungen überhaupt erst zu rechtfertigen, noch immer verwurzelt und verbreitet sind. Das ist, was die Autorin als „unsichtbaren Tropenhelm“ bezeichnet, die Glocke, die über unserem Denken schwebt. Es ist mit Moral und Sitte schlecht vereinbar, einen bevölkerten Landstrich zu besetzen, den Ackerboden an sich zu reißen, sämtliche Rohstoffe zu seinem Eigentum zu erklären und überall Häuser hinzustellen, wo es einem gerade einfällt. Genau das aber geschah im Kolonialismus, gedeckt durch eine durchdachte und menschenverachtende Ideologie. Denn die dort lebenden Menschen nutzten das Land ohnehin nicht (i.e. nutzten es nicht so, wie man es in Europa genutzt hätte), waren kindlichen Gemüts und bedurften des Schutzes der Europäer. Es war, wie der vielzitierte Rudyard Kipling es formulierte, „die Bürde des Weißen Mannes„, endlich mal in Ordnung in dieses verwahrloste, kulturlose Afrika zu bringen, in dem halbe Kinder Königreich spielten.
Und heute, fast ein Jahrhundert nachdem Deutschland fast alle seine Kolonien verlassen musste? Der Geist des Kolonialismus hallt noch immer nach, der Rassismus, der geschaffen wurde, um koloniales Gebaren zu rechtfertigen, steckt in vielen Köpfen. Tätliche Angriffe oder offene Anfeindungen sind die brutalste Form davon. Aber auch im Alltag werden Menschen oft rassistisch beleidigt, im schlimmsten Fall ohne, dass es den rassistisch Handelnden bewusst ist. Ein Mensch, der eine dunkle Hautfarbe hat, wird oft nicht als richtiger Teil der Gesellschaft wahrgenommen, als vage defizitär. In Deutschland geborene Menschen, deren Muttersprache Deutsch ist, werden für ihre gute Aussprache gelobt und es wird interessiert gefragt, woher sie denn kommen. Heilbronn? Nein, woher sie eigentlich kommen. Manchmal hört man Aussagen über afrikanische Länder und die dort lebenden Menschen und fragt sich, was zur Hölle wir eigentlich seit Hagenbecks Völkerschauen gelernt haben. Die Zuwendung zu ehemals kolonialisierten Ländern ist denn auch selten von aufrichtiger Solidarität und häufig von mitleidiger Charity geprägt. Man spendet eben für die hungrigen Kinder in Afrika.
Das Buch von Habermann ist ein recht kurzes und kann viele Themenbereiche nur anreißen, aber es ist eine hervorragende Einführung, die den Kern der Problematik auf jeden Fall trifft. Habermann geht auf viele Missstände ein und trifft dabei einen Ton, der sowohl wissenschaftlich bleibt, als auch zuweilen zynisch übertreibt. Und das alles in einem Rundumschlag, der ein „Ja, aber ich…“ nahezu unmöglich macht. Gut so. Das Buch ist ein Muss für alle, die sich nicht sicher sind, ob sie nicht heimliche Rassisten sind. Und erst recht für alle, die sich sicher sind, es nicht zu sein. Biste nämlich doch. Großes Manko: Das Literaturverzeichnis verlängert meine Leseliste noch weiter.
Die Autorin ist Ökonomin und Historikerin und betreibt den sehr interessanten Blog Postwachstum.
Nach so viel ernsthaftem Text jetzt ein lustiges Video:
Friederike Habermann: Der unsichtbare Tropenhelm. Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht. thinkOya 2013. 97 Seiten, € 10,-.
Zitat: S. 94.
Danke für den großartigen Tipp, liebe Marion. Das muss ich lesen. Der Kolonialismus ist meiner Meinung nach noch lange nicht beendet – es sind jetzt nur keine Staaten oder Regierungen mehr, die ihn „durchführen“, sondern Konzerne … kommt sofort auf meine Liste. LG, Bri
LikeGefällt 1 Person
Piketty hat dazu auch ein paar sehr interessante Kapitel in „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Allerdings ist das sehr viel Buch für eine vergleichbar magere Ausbeute zu dem Thema.
Und ich gebe dir recht – es ist eigentlich unfassbar, in welchem Umfang ein kleiner Teil der Welt seinen Wohlstand noch immer massiv zu Kosten des größeren Teils der Welt erwirtschaftet.
LikeLike