„The walks met a need: they were a release from the tightly regulated mental environment of work, and once I discovered them as therapy, they became the normal thing, and I forgot what life had been like before I started walking.“
Julius lebt als Psychiater in New York. Es ist seine erste Berufserfahrung nach dem Studium und der durchgetaktete Klinikalltag, der Umgang mit den Patienten und ihre Probleme, die ihn manchmal auch nach Feierabend noch verfolgen, machen ihm zu schaffen, ebenso die Trennung von seiner Freundin. Die Therapie, die er für sich entdeckt, ist das Laufen. Kein sportliches Laufen sondern einfach Spaziergänge. Er lässt sich durch sein Viertel treiben, durch andere Teile New Yorks, den Central Park, an den Hudson. Gelegentlich besucht er seinen alten Professor Saito, der zurückgezogen in seiner Wohnung lebt und sich über den Austausch freut. Unterwegs beobachtet er die Menschen, die ihm begegnen und die Gebäude, an denen er vorbeikommt. Er berichtet über das, was er sieht und die Erinnerungen, die diese Begegnungen in ihm auslösen, an seine Studienjahre, an seine Kindheit in Nigeria. Letzteres verleitet ihn schließlich auch dazu, nach Brüssel zu reisen, die Stadt, in der seine Oma lebt oder lebte, seine deutschstämmige Großmutter mütterlicherseits. Es ist sehr lange her, dass er sie zuletzt gesehen hat, als sie seine Familie in Nigeria besuchte. Der diffuse Wunsch, ihr vielleicht zufällig zu begegnen, bringt ihn nach Belgien, wo er seinen gesamten Jahresurlaub verbringt. Auch hier schlendert er durch die Stadt, ohne jedoch seine Großmutter zu treffen, dafür aber einen Marokkaner, der ein Internetcafé betreibt und mit dem er über islamischen Extremismus spricht.
Der Text setzt sich zusammen aus einzelnen Szenen, unterschiedlichen Begegnungen und es gibt kaum einen roten Faden, der die Ereignisse zusammenhält. Es ist schwer, überhaupt zu beurteilen, über welchen Zeitraum die Handlung sich erstreckt. Dabei sind die einzelnen Gespräche und Reflexionen durchaus interessant. Julius selbst begeistert sich sehr für Musik, besonders klassische, und Literatur. Über beides spricht er viel in diesem Roman, über die Romane, die er liest und die Konzerte, die er besucht. Mit seinen Freunden und Bekannten spricht er vor allem über Politik, gesellschaftliche Strukturen und den alltäglichen Rassismus, dem er sich ausgesetzt sieht. Über seinen Beruf berichtet er kaum, nur gelegentlich über Fälle, die ihn auch in seinem Privatleben berühren.
So interessant die einzelnen Sequenzen aber auch sein mögen – einen packenden Roman ergeben sie in ihrer Summe nicht. Das Buch erinnert mehr an eine Essay-Sammlung, lose zusammengehalten von den Wegen, die Julius in New York und Brüssel zurücklegt. Die atmosphärischen Beschreibungen New Yorks mögen allerdings für Fans dieser Stadt durchaus ihren Reiz haben. Die Ansichten und Betrachtungen allerdings wären in einem anderen Format besser aufgehoben gewesen.
Teju Cole: Open City. Faber & Faber 2012. Erstausgabe Random House 2011. 259 Seiten, ca. € 10,-. Deutsche TB-Ausgabe Suhrkamp 2013. Übersetzt von Christine Richter-Nilsson. 333 Seiten, € 10,99.
Das Zitat stammt von S. 7
Schade, dass es offenbar nicht so richtig „funktioniert“ hat, es klingt so vielversprechend…
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Gerade gestern ist ein neues Buch von ihm erschienen, das wirklich eine reine Essay-Sammlung ist, „Vertraute Dinge, fremde Dinge“. Ich habe vorhin mal reingeblättert und die sieht wirklich interessant aus. Ich glaube, dass das für mich besser passt.
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Dann berichte auf jeden Fall darüber! 🙂
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