„You should see my family. Every single one of us is psychotic.“
Alle Familien sind psychotisch – diese These stellt Douglas Coupland in seinem Roman am Beispiel der kanadischen Familie Drummond auf. Die Drummonds bestehen aus Mutter Janet, Ex-Ehemann Ted, der sich inzwischen mit Trophy Wife Nickie tröstet, und den drei erwachsenen Kindern Wade, Bryan und Sarah.
Sohn Wade ist früh von zu Hause ausgezogen und hat seitdem eine kleinkriminelle Karriere hingelegt, Bryan glänzt vor allem durch Durchschnittlichkeit und seinen unterirdischen Frauengeschmack. Als Mutter seines ersten Kindes hat er die esoterische Shw erwählt – ihren vokalfreien Namen durfte sie als Vierzehnjährige selbst wählen. Einzig Sarah scheint es zu etwas gebracht zu haben. Weil Janet während der Schwangerschaft Contergan genommen hat, fehlt ihr eine Hand, dennoch hat sie es als Humangenetikerin ins Team der nächsten NASA-Raummission geschafft. Um den Start der Raumfähre mitzuerleben, reisen nun alle Drummonds nach Florida und erwartbar nimmt das Chaos seinen Lauf.
Allerdings nicht ganz so, wie man es von einem normalen Familienroman erwarten würde. Um dringend benötigtes Geld aufzutreiben, zieht Wade ein neues Geschäft an Land. Für eine attraktive Entlohnung soll er einem reichen und völlig verrückten Deutschen, der auf den Bahamas lebt, einen Brief liefern, der ihm offenbar extrem viel Wert ist. Das geht natürlich absolut nicht reibungslos über die Bühne und auf einmal finden die Drummonds sich in einer Verfolgungsjagd über Floridas Autobahnen wieder, Schießereien und Slapstick inklusive.
„has you laughing, thinking and crying, all at once“ urteilt der Evening Standard im Klappentext. Ja, tatsächlich habe ich gelacht. Vor allem Janet besticht durch bissigen, trockenen Humor an den richtigen Stellen. Nachgedacht habe ich auch. Vor allem darüber, ob so viele Zufälle in einer Geschichte nicht vielleicht überkonstruiert wirken könnten. Geweint habe ich allerdings nicht, ich war nicht mal kurz davor und dabei habe ich das Buch in einer Zeit gelesen, in der ich hormonell so nebendran war, dass ich einmal weinen musste, als mir ein Topflappen runtergefallen ist.
Die Familie hätte allerdings durchaus das Potenzial dazu. Denn hinter all dem Chaos, den Streitigkeiten und den über Jahre zerstörten Beziehungen merkt man, dass diese Menschen sich eigentlich sehr lieben und viel für die anderen opfern würden. Sie sind nicht immer (eigentlich fast nie) in der Lage, das auszudrücken, lassen aber alles stehen und liegen, sobald ein anderes Familienmitglied ihre Hilfe braucht. Das aber geht in der Brief-Geschichte völlig unter. Die nämlich ist so albern, dass sie, vor allem angesichts des Orts der Handlung, auch von Hiaasen sein könnte. Ich mag Hiaasen, ich mag Familienromane, aber ich sehe nicht, warum man beides in ein Buch stopfen sollte. Denn die tragisch angehauchte Familiengeschichte nimmt dem Brief-Plot die Leichtigkeit, die er hätte gebrauchen können. Zugleich verhindert der Brief-Plot, dass die Familiengeschichte richtig ausgearbeitet werden kann, was fast nur in Rückblenden geschieht. Zudem werden einige Familienmitglieder weitaus feiner ausgearbeitet als andere, was dazu führt, dass Vater Ted bis zum Ende ein Schatten am Rande des Geschehens bleibt – er scheint die Schuld daran zu tragen, dass die Familie zerbrochen ist, von den Motiven seines Handelns erfährt man aber kaum etwas. Auch Bryan ist zwar oft anwesend und oft der ungeschickte Idiot, aber kaum mehr als das. Carl Hiaasen trifft hier auf Anne Tyler – eine erwartbar unfruchtbare Zusammenarbeit.
Douglas Coupland: All Families are Psychotic. Harper Perennial 2006. 279 Seiten, ca. € 7,50. Erstausgabe: Flamingo 2001.
Das Zitat stammt von S. 66 der o.g. Ausgabe.