Florian Illies: 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts

1913Wie der Titel verspricht, geht es in diesem Buch nur und ausschließlich um das Jahr 1913, dem Jahr vor der ersten großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, ein Jahr, in dem scheinbar alles passieren konnte. Der erste Aldi wurde eröffnet, Tito war Testfahrer für Benz, Franz Marc malte blaue Pferde.

Das Buch ist hauptsächlich ein Konvolut von Anekdoten. Ein who is who dieses Jahres, es ist aber auch ein wer mit wem. Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler, Oskar Kokoschka und Alma Mahler, Rainer Maria Rilke und Sidonie Nádherný. Wer betrog wen mit wem, wer hatte Ärger mit wem und weshalb, wer schrieb ängstliche Liebesbriefe und zögerliche Heiratsanträge? In diesem Buch erfährt man es alles. Illies versteht es, ein großes, lebendiges und spannendes Panorama dieses Jahres aufzuziehen. Man erfährt von Hauptschauplätzen und Randnotizen der Geschichte, die oft wenig bekannt sind. Illies versteht es vor allem, das enge Netz darzustellen, das zwischen den Größen des 20. Jahrhunderts bestand und viele Beziehungen und Entwicklungen deutlich macht.

Allerdings verrennt Illies sich zum Teil auch in Spekulationen. Saßen Else Lasker-Schüler und Thomas Mann nicht vielleicht im gleichen Zug, als sie zu Beginn des Jahres 1913 von Berlin in Richtung München fuhren? Ja, wäre ein witziger Zufall, wahrscheinlich aber einfach nicht, es gab eine Menge Züge in diese Richtung. Stalin und Hitler lebten zeitgleich in Wien und gingen gerne im Park von Schloss Schönbrunn spazieren, haben sie sich da nicht vielleicht mal gegrüßt? Ja vielleicht, tatsächlich ist das aber ein riesiger Park mit hunderten Leuten darin, die sich nicht alle ständig grüßen, es ist nun mal unwahrscheinlich. Aber ich sehe, was Illies damit sagen will – das ist alles in diesem einen Jahr passiert, auf so engem Raum!

Außerdem, aber das ist nun dem Aufbau und Anspruch des Buchs geschuldet, kommt einiges zu kurz. Immer wieder werden spannende Geschichten angerissen, die dann nicht zu Ende erzählt werden. Das können sie auf dem bisschen Raum natürlich auch nicht, man kann sie auch woanders weiterlesen, ich weiß, aber manchmal habe ich das als etwas frustrierend empfunden, ich bin aber durchaus bereit, das als mein persönliches Problem zu akzeptieren.

1913 ist ein sehr unterhaltsam Sachbuch, das vieles nur anreißt, bei vielem aber auch Lust auf mehr macht. Hinter manchen großen Namen entdeckt man eine spannende Biographie oder ein spannendes Werk, mit dem man sich in Zukunft vielleicht mal näher befassen möchte. Das Hörbuch ist gut gelesen, durch die vielen Sprünge zwischen Personen und Orten manchmal aber etwas verwirrend, das lässt sich gedruckt vielleicht besser nachvollziehen. Beides ist aber auch einfach unterhaltsam, gut geschrieben und ein solides Sachbuch für zwischendurch.


Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. Originalausgabe S. Fischer 2012. 320 Seiten, € 19,99. Taschenbuch Fischer 2014. Hörbuch: Der Audio Verlag 2012. ca 6 Stunden, ca. € 10,90. Sprecher: Stephan Schad.

2 Gedanken zu “Florian Illies: 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts

  1. SätzeundSchätze 8. März 2016 / 14:09

    Fand ich auch so: Unterhaltsam, macht Lust auf mehr, auf vertieftes Wissen – und damit hat er eigentlich auch so ein Buch vorgelegt, das seither nachgeahmt wird im Stil (Ostende von Weidermann z.B.). Aber das Leichte muss ja nicht immer schlecht sein, gell?

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    • March Hare 8. März 2016 / 23:28

      Das Leichte ist ja manchmal alles was man will. Immer nur hochkomplexe Abhandlungen erträgt man ja gar nicht.

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