Jane Gardam: Ein untadeliger Mann

Gardam_24924_mit_BS_MR1.inddEduard Feathers ist sehr alt, sehr reich und immer noch sehr attraktiv. Als Kronanwalt in Hongkong hat er sich einen Namen gemacht und ein Vermögen angehäuft. Old Filth, so der Name unter seinen Kollegen, ist eine Legende. Auch im hohen Alter achtet er auf sich, ist tadellos und elegant gekleidet und weiß, wie man sich benimmt. Er ist genau das, was man sich unter einem wahren britischen Gentleman vorstellt.

Angefangen hat sein Leben in Malaysia, als es noch Malaya hieß und Teil des Britischen Empires war. Sein Vater, Colonel Feathers, hat sich vom Ersten Weltkrieg nie ganz erholt und als Eddies Mutter direkt nach der Geburt stirbt, ist er so überfordert, dass er seinen Sohn bei einer Amme aufwachsen lässt, mit deren Kindern er spielt und deren Sprache er spricht. Eddie sieht seinen Vater nur selten und zufällig auf dem Marktplatz. Eddie stört das nicht – er hat ohnehin keinen Bezug zu dem steifen, fremden Mann und ist glücklich bei seiner Ziehmutter Ada. Erst als er vier Jahre alt ist, beschließt Auntie May, die in der nahegelegenen Baptistenmission tätig ist, dass ein britischer Junge so nicht aufwachsen kann. Erst soll er in der nächstgrößeren Stadt Englisch lernen und dann in Wales bei einer Gastfamilie aufwachsen und eine richtige, britische Ausbildung bekommen.

Damit enden Eddies glückliche Tage. Zusammen mit seinen Cousinen Babs und Claire wächst er bei Ma Didds auf, eine bessere Familie kann der Vater sich nicht leisten. Was dort über die Jahre passiert ist so schrecklich und grausam, dass die drei bis ins hohe Alter nicht darüber sprechen können. Als das Martyrium dort ein Ende nimmt, geht es für Eddie weiter in die Lehranstalt von Sir, dessen vollen Namen nie jemand erfährt, und ab da weiter in eine mustergültige Ausbildung. Armee, Oxford, Kanzlei, Kronanwalt im noch britischen Hongkong, Hochzeit mit der schönen, weltgewandten, Mandarin sprechenden Betty. Trotz getrennter Schlafzimmer und daraus folgender Kinderlosigkeit betrachtet er seine Ehe als völlig zufriedenstellend.

Als das Empire mehr und mehr bröckelt, die Einheimischen nicht mehr so freundlich sind, wie sie einmal waren, beschließt das Ehepaar Feathers, seinen Lebensabend in Großbritannien zu verbringen. Mrs Feathers hat davon nicht mehr viel, ein schneller Tod ereilt sie im gepflegten Tulpenbeet. Für Old Filth ist ihr Tod ein Schock – und Grund, nach vielen Jahren seine Cousinen noch einmal aufzusuchen und über das zu sprechen, worüber sie ihr Leben lang geschwiegen haben.

Der Roman ist vor allem Britisch. As British as Stephen Fry walking a corgi outside Buckingham Palace. Das Empire in seinen letzten Zügen, das Königreich im Krieg, das neue England in dem jemand wie Old Filth keinen richtigen Platz mehr findet – all das wird schlaglichtartig und sehr unterhaltsam dargestellt. Die Erzählung springt dabei von Feathers aktuellem Leben in die Vergangenheit und wieder zurück. Und Tee gibt es, Tee an allen Ecken und Enden, so viel Tee, dass das Buch geschafft hat, was ein Leben in Ostfriesland nicht fertig gebracht hat – ich habe mir das erste mal seit zehn Jahren welchen gekauft. Hin und wieder dümpelt die Erzählung ein bisschen vor sich hin und erinnert an Harold Fry – ein alter Mann auf einer scheinbar unmöglichen Reise, die er aber beenden muss um eine Last aus der Vergangenheit loszuwerden. Denn unmöglich scheint die Reise des alten Mannes in seinem Mercedes auf britischen Autobahnen zuweilen zu sein, zumindest sehr riskant. Für Fans britischer Literatur und konsequenter Britishness ist das Buch trotz dieser gelegentlichen Schwachstellen sehr zu empfehlen. Most agreeable!


Jane Gardam: Ein untadeliger Mann. Hanser 2015. 345 Seiten, € 22,90. Übersetzt von Isabel Bogdan. Originalausgabe: Old Filth. Chatto & Windus 2004.

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