Shelby Van Pelt legt in ihrem Debüt-Roman das Glück ihrer Protagonistin in die immerhin achte Arme eines Riesenkraken. Eine smarte Lösung, die der sonst nicht so außergewöhnlichen Kleinstadt-Geschichte einen charmanten Twist verleiht.

Marcellus McSquiddles ist ein eher außergewöhnlicher Erzähler und noch dazu einer, dem nur ein sehr begrenzter Blick auf die Welt vergönnt ist. Er ist ein pazifischer Riesenkrake und zu Beginn des Romans seit 1.299 Tagen gefangen. Gefangen in einem Aquarium in Sowell Bay, einer Kleinstadt in der Nähe von Seattle. Er ist nicht nur ein außergewöhnlicher Erzähler, sondern auch außergewöhnlich klug und durchaus in der Lage, sein Gefängnis zumindest für kurze Eskapaden zu verlassen und so direkt in das Leben der Menschen einzugreifen. Vor allem in das von Tova Sullivan, einer schon etwas älteren Dame, die am späten Abend im Aquarium putzt und schnell erkennt, mit was für einer bemerkenswert klugen Kreatur sie es da zu tun hat. Und Marcellus merkt, was für ein goldenes Herz in ihrer Brust schlägt und beschließt, dieser Frau zu helfen. Wenn er es noch schafft – die vier Jahre Lebenserwartung seiner Gattung hat er fast schon erreicht.
I shall die here, in this tank. At the very most, one hundred and sixty days remain until my sentence is complete.
S. 2
Tova hat kein leichtes Leben hinter sich. Ihr Sohn Erik verstarb im Alter von 18 – wie, das wurde nie geklärt. Ebenso wenig wurde jemals seine Leiche gefunden. Von einem Bootsausflug aufs Meer ist er einfach nicht mehr zurückgekehrt. Die Trauer hat sie nie überwunden und seitdem ihr Mann an Krebs gestorben ist, muss sie alleine mit dieser Bürde leben. Und dennoch – Tova steht mitten im Leben, hat ihren Job, Freundinnen, die sie regelmäßig trifft und einen nicht sehr heimlichen Verehrer in Ethan, dem Betreiber des einzigen Supermarkts in der Stadt. Als Cameron in Sowell Bay auftaucht um nach seinem Vater zu suchen, kommt einiges in Bewegung und so manches Geheimnis steht kurz vor seiner Auflösung. Aber das erkennt niemand. Niemand, außer einem achtarmigen Genie.
Shelby Van Pelts Debütroman besticht durch seinen ungewöhnlichen und liebenswerten Weichtier-Protagonisten. Marcellus ist ein erstaunlich guter Detektiv – auch, wenn nicht immer ganz logisch scheint, was er alles weiß und versteht. Aber er ist eben eine bemerkenswert kluge Kreatur, das kann man schon akzeptieren und er hat großen Ehrgeiz, die nicht so klugen Menschen mit der Nase auf die Wahrheit zu stoßen. Und er ist es auch, der die Geschichte vor der Beliebigkeit einer Kleinstadt-Familiengeschichte bewahrt. Das, was Marcellus da zusammenhält, ist nicht unbedingt der literarisch große Wurf, aber immerhin eine unterhaltsame, gut zu lesende und charmante Geschichte, in der sich am Ende natürlich alles fügt, wie es sich fügen muss.


