Das Schönste in ganz Pennsylvania – „Das Holländerhaus“ von Ann Patchett

Cyril Conway steht gerade erst am Anfang seiner Immobilien-Karriere, da entdeckt er schon das schönste Haus in ganz Pennsylvania. Es ist der aufgegebene Besitz der niederländisch-stämmigen Familie VanHoebeek, die ihr Vermögen mit Zigaretten aufgebaut hat und nun komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Es bleibt eine beeindruckende Villa mit Ballsaal, tiefen Fensterbänken und Delfter Kacheln am Kamin. Das Haus ist ein Vermögen wert und weit über dem, was Cyril sich eigentlich leisten kann. Dennoch schenkt er es seiner Frau und wohnt bald mit Köchin, Kindermädchen und den Kindern Danny und Maeve in dem prachtvollen Bau. Seine Frau allerdings bleibt nicht mehr lange. Sie fühlt sich schlecht in dem ganzen Luxus und beschließt, die Familie zu verlassen, um den Armen in Indien zu helfen.

Ihre Kinder leiden sehr unter dem plötzlichen Verlust der Mutter und auch die innige Beziehung zum Hauspersonal kann das natürlich nicht wett machen. Der Vater bleibt indessen distanziert und fremd, mit Danny verbringt er fast nur Zeit, wenn die beiden am Samstag zusammen ihre Runden drehen, um die Miete aus Cyrils Wohnungen zu kassieren. An all das erinnert sich Danny jetzt, mehrere Jahrzehnte später, während er von seiner Kindheit und Jugend erzählt, die durchgehend vom prächtigen Heim der Familie geprägt bleibt.

„Euer Vater war der Ansicht, dass es auf der Welt nichts Schöneres gab als dieses Haus, und in ihr fand er eine Frau, die das genauso sah.“

Etliche Jahre nachdem die Mutter die Familie Conway verlassen hat, verliebt sich die junge Andrea in das Haus und Cyril verliebt sich in Andrea. Nach ihrem Einzug ändert sich so einiges im Holländerhaus und es dauert nicht lange, bis sie beide Conway-Kinder vor die Tür setzt. Ihren eigenen Töchtern überlässt sie die Kinderzimmer der beiden Stiefkinder. Über Jahre nehmen Danny und Maeve ihr das übel und sitzen bei jeder Gelegenheit im Auto vor dem Anwesen, rauchen, obwohl sie immer gerade aufgehört haben, schimpfen auf die grausame Stiefmutter und sinnen auf Rache. Das beste, was den beiden einfällt, ist allerdings, Danny gegen seinen Willen Medizin studieren zu lassen, damit der von Cyril hinterlassene Ausbildungsfonds für alle Kinder möglichst aufgebraucht ist, bevor Andreas Kinder ihn nutzen können. Die Beziehung der Geschwister Maeve und Danny ist sehr eng, vor allem da Maeve früh helfen musste, die Mutter zu ersetzen. Sie ist sieben Jahre älter als ihr Bruder und bleibt ihr ganzes Leben lang eine moralische Instanz und praktische Hilfe für ihn, einer seiner wichtigsten Bezugspunkte. In seiner Ehe wird das zum zentralen Problem, nachdem Dannys Frau findet, Maeve habe zu viel Raum und Einfluss in seinem Leben.

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Maeve und Danny stehen im Zentrum des Romans, der mehr ist, als ein einfacher Familienroman. Die meiste Geschichte bringt das Haus mit, obwohl es die meiste Zeit gar nicht da ist. Obwohl konfliktreich, kommt der Roman ohne scharfe Kanten aus. Dass die Konflikte immer als recht harmlos erscheinen, liegt aber sicher auch an Ich-Erzähler Danny, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Vielleicht liegt Aufregung aber auch einfach nicht in seinem emotionalen Spektrum, er scheint die meisten Dinge einfach hinzunehmen. Nur der Zorn auf die Mutter bleibt, was er ist. Sie hätte die Kinder nicht alleine lassen dürfen und diese Tat ist unverzeihlich. Dabei bleibt er. Die Wut auf Mutter und Stiefmutter ist das verbindende Element der beiden Geschwister und sie lassen beide nicht zu, dass dieser Zorn verraucht, als würde es ihr eigene Bindung gefährden. Umso versöhnlicher und eigentlich ein bisschen zu weich und glatt gerät dann allerdings das letzte Viertel des Romans.

Das Holländerhaus beschreibt Aufstieg und Fall einer Familie in kaum mehr als einer Generation. Patchett stellt die Wut der Geschwister in den Mittelpunkt, die Tatsache, wie sehr ihr nie abgekühlter Zorn ihre Leben lenkt und bestimmt. Zugleich thematisiert der Roman die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich in den wenigen Jahrzehnten, in denen die Geschichte spielt, rapide ändern, während einiges doch immer gleich bleibt. Der Roman überzeugt in seiner Interpretation des Motivs der bösen Stiefmutter, einige schärfere Kanten hätte er dabei aber gut vertragen.


tl;dr: Das Holländerhaus ist ein solider, gut lesbarer Familien- und Gesellschaftsroman, der in und um New York ab den 1950ern spielt und in dessen Zentrum zwei Geschwister stehen, die sich gegenseitig in ihrem unversöhnlichen Zorn auf Mutter und Stiefmutter bestärken.


Ann Patchett: Das Holländerhaus. Aus dem Englischen übersetz von Ulrike Thiesmeyer. Berlin Verlag 2020, 399 Seiten. Originalausgabe: The Dutch House. HarperCollins NY, 2019.

Das Zitat stammt von S. 133.

Ich danke dem Verlag für das Leseexemplar.