Ich weiß überhaupt nicht, wie oft ich in den letzen Monaten über Sinn und Unsinn des Vogelfütterns diskutiert habe. Quintessenz ist meistens: nützt nichts, schadet aber auch nichts. Grund genug, eine Batterie Vogelfutter auf dem Balkon aufzufahren. Die ersten beiden Winter war die Futterstelle klar in Amsel-Hand. Strenggenommen war sie zumindest einen Winter lang in der Hand eines Amsel-Männchens, das den ganzen Tag seinen Futtervorrat verteidigte aber wenig fraß. Er wird, wie auch beinahe alle seine Bremer Artgenossen, der letztjährigen Usutu-Virus-Epidemie zum Opfer gefallen sein. Von jetzt auf gleich war mein Balkon amselfrei. Glück für die Meisen, die langsam und dann ziemlich aggressiv in diese Lücke drängten. Mittlerweile gehört der Balkon nebst allem darauf etwa zehn Kohl- und Blaumeisen, die in wenig friedvoller Ko-Existenz kiloweise Mehlwürmer fressen. Ich bin nicht sicher, ob sie nicht auch die Zebraspringspinnen-Kolonie auf dem Gewissen haben, die sich über Jahre erfolgreich auf dem Balkon breitgemacht hatte. Auf jeden Fall ist sie weg. Ich würde es ihnen nicht verdenken.
Auch der Autor Andreas Tjernshaugen hat in seinem Garten nahe Oslo über lange Zeit Meisen und ihr Verhalten beobachtet. Das allerdings weitaus systematischer als ich. Die kleinen Vögel faszinierten ihn so sehr, dass er beschloss, mehr über sie zu lernen. Er besuchte Forscher in England und Norwegen, installierte ein Vogelhaus mit einer Kamera darin und stellte sich den Wecker auf halb fünf morgens, um das Balzverhalten seiner Gartenbewohner beobachten zu können.
Bei alldem stellte er fest, dass Meisen extrem gut erforschte Vögel sind. Kohl- und Blaumeisen nehmen schnell und dankbar Nistkästen an, was es leicht macht, sie in einem bestimmten Revier anzusiedeln, zu beobachten und systematisch zu erforschen. Gleichzeitig stoßen diese Vögel auf wenig allgemeines Interesse. Sie sind zu häufig und zu präsent, als dass man hinter ihrem hektischen Rumgeflatter düstere Geheimnisse vermuten würde. Aber die gibt es durchaus. Bei verschiedenen Fledermauspopulationen wurde beispielsweise beobachtet, dass diese gezielt von Meisen attackiert werden, die es auf die Gehirne der Flugsäuger abgesehen haben. Gehirne! Seitdem betrachte ich vor allem die größeren Kohlmeisen mit Argwohn.
„Die Kohlmeise, deren norwegischer Name Kjøttmeis wörtlich übersetzt Fleischmeise ist, hat, wie dieser Name andeutet, manchmal auch Solideres auf dem Winterspeiseplan, was den Menschen in großen Teilen Skandinaviens nicht entgangen ist.“
Aber auch über das weniger aggressive Balz-, Brut- und Flugverhalten der beiden Meisenarten kann Tjernshaugen einiges berichten. Die Forschungsergebnisse, die er vorstellt, werden unterbrochen von einer Art Tagebuch seiner persönlichen Beobachtungen. Letztere hätten für meinen Geschmack knapper ausfallen dürfen. Das Weihnachtsfest der Familie Tjernsaugen beispielsweise interessiert mich ganz deutlich weniger als diese Geschichte mit den Fledermausgehirnen. An vielen Stellen ist Das verborgene Leben der Meisen eher ein Lesebuch für Vogelliebhaber*innen, die sich zwar über den tierischen Besuch freuen, aber nicht allzu tief in die Materie eintauchen wollen. Passend dazu ist das Buch auch mit zahlreichen und wirklich schönen Aufnahmen von Blau- und Kohlmeisen illustriert. Trotz des nicht immer hohen Informationsgehalts weiß ich nun mehr über die Meisen-Gang auf dem Balkon und werde sicher auf Verhaltensweisen achten, die mir vorher nicht aufgefallen sind. Vorausgesetzt, sie bleiben. Seit heute treiben sich wieder vier Amseln in den Höfen herum. Mal gucken, wer sich am Ende den besten Futterplatz sichert. Und wer am Ende kein Gehirn mehr hat.
Andreas Tjernshaugen: Das verborgene Leben der Meisen. Insel 2019. 233 Seiten, € 10,-. Aus dem Norwegischen übersetzt von Paul Berf. Originalausgabe: Meisenes hemmelige liv. Kagge Forlag 2015.
Das Zitat stammt von S. 179.
Blaumeisen dürfen machen, was sie wollen, weil sie einerseits einfach hübsch sind & dann auch noch Punks. Das klingt nicht fair, aber das ist das Gesetz der Natur.
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Ich glaube, du meinst Beth Ditto.
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Ich bin mir relativ sicher, dass Beth Dito sich nicht auf meiner Fensterbank mit Spatzen um Körner prügelt, aber ich könnte mich natürlich irren 😀
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Um das zu sehen, würde ich den ganzen Weg nach Bingen fahren.
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Ok, lass mich das korrigieren… Ich bin mir relativ sicher, dass Beth Dito sich auf meiner Fensterbank mit Spatzen prügelt…
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Ich habe sein neuestes Buch über Wale auf dem Stapel liegen, aber ich denke, ich flattere später vielleicht noch zu den Meisen rüber. Ich gehöre auch zu jenen, die Vogelfutter mittlerweile bunkern, weil sie einen ganz schönen Appetit an den Tag legen. Viele Grüße
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