Michael Pollan: Kochen

„Die Prämisse dieses Buchs lautet, dass das Kochen eine der interessantesten und lohnendsten menschlichen Tätigkeiten überhaupt ist, wobei es allgemein so definiert wird, dass es das ganze Spektrum an Techniken umfasst, die Menschen entwickelten, um Rohstoffe der Natur in nahrhafte und wohlschmeckende Speisen und Getränke zu verwandeln.“pollan_kochen

Pollan, amerikanischer Journalist, geht in diesem Buch der Essenszubereitung in all seinen Facetten nach. Seine Erfahrungen gliedert er dabei in die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Einige von euch haben möglicherweise auf Netflix schon seine (sehr sehenswerte) Doku Cooked gesehen, dann dürfte euch einiges, aber bei weitem nicht alles in diesem Buch bekannt vorkommen.

Seine Grundthese ist, dass wir uns von Konzernen und der Lebensmittelindustrie unnötig abhängig machen, wenn wir verlernen, unsere Lebensmittel selbst herzustellen oder zuzubereiten. Rein ökonomisch ist es tatsächlich oft sinnvoller, die Zeit mit unserer eigentlichen Erwerbsarbeit zu verbringen und die Zubereitung von Essen in die Hand von Leuten zu legen, die damit wiederum ihr Geld verdienen. Seit Kochen keine Notwendigkeit mehr ist, sparen viele Menschen sich diese Arbeit, dabei wäre gerade jetzt die Chance, so Pollan, Kochen als Freizeittätigkeit zu begreifen, die aus reiner Freude daran erledigt wird – ein Hobby eben, eine Leidenschaft.

Um das Element Feuer kennenzulernen, besucht er Barbecue-Meister in den US-amerikanischen Südstaaten, die Glaubenskämpfe um Grillformen, Kohleeinsatz und Schweinerassen ausfechten, und lernt, wie viel Geduld und Muskelkraft es braucht, um ein ganzes Schwein zu grillen. Für das Element Wasser konzentriert er sich vor allem auf Schmorgerichte, ebenfalls eine Aufgabe, bei der Geduld und Zeit vonnöten sind. So viel davon, dass es fast buddhistisch wird – wenn du Zwiebeln schneidest, schneide einfach nur Zwiebeln, bringt ihm seine Mentorin bei. Mit der Luft befasst er sich in Form von Brot bzw. der Löcher darin. Als deutsche Leserin hatte ich da gelegentlich Schwierigkeiten, zu folgen. Michael Pollan und ich sind offenbar mit so verschiedenen Broten groß geworden, dass ein gutes Brot für ihn was anderes ist als für mich. Seine Selbstversuche sind trotzdem spannend und die zugrundeliegenden Bakterien- und Pilzkulturen am Ende ja auch die gleichen. Im letzten Kapitel befasst er sich mit der Erde, mit den Organismen, die darin leben und den Lebensmitteln, die wir tief in der Erde lagern, um sie genießbar zu machen. Dazu trifft er eine Nonne, die eine Käserei betreibt und eine Gruppe von Menschen, die sich Fermentos nennt und überzeugt ist, dass sie mit selbst fermentierten Gemüsen nahezu alles heilen kann.

Beeindruckend sind nicht nur seine ausufernden Selbstversuche sondern auch die Masse an Sekundärliteratur, die er für dieses Buch gelesen hat. Seine Thesen untermauert er mit Studien und Aufsätzen und ist sehr differenziert in seinen Aussagen. Wenn er sich nicht absolut sicher ist mit seinen Thesen, sagt er das auch. Überhaupt ist Pollan das ganze Buch hindurch erfreulich undogmatisch. Er stellt unmissverständlich klar, dass es in seinen Augen nur Vorteile hat, und zwar deutliche, wenn man möglichst viele Mahlzeiten selbst produziert und möglichst wenig industriell verarbeitete Nahrungsmittel konsumiert. Essen sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte heißt ein anderes seiner Bücher (auch bei Kunstmann), aber da enden die guten Ratschläge auch schon – das ist tatsächlich selten in dieser Art von Sachbuch.

Vielmehr versucht Pollan, seine Begeisterung für die Thematik zu transportieren und die Leser so dazu zu bewegen, selbst mal was auszuprobieren. Die Erzählungen seiner Misserfolge zeigen, dass Scheitern keine Schande ist sondern ein Ansporn, Fehler beim nächsten Mal zu vermeiden. Unumwunden gibt er zu, dass nicht alles, was er ausprobiert hat, Teil seines alltäglichen Lebens geworden ist und er beispielsweise trotz aller Begeisterung dafür nur einige Male im Monat sein Brot selbst backt und Bier öfter kauft als braut.

Das Buch ist großartig für alle, die Kochen ohnehin schon lieben, aber auch für alle, die es zu selten machen, sich zu wenig trauen oder gerne mal was ausprobieren würden. Pollan liebt das Wunder, das sich vor seinen Augen vollzieht, wenn er Rohstoffe in Mahlzeiten verwandelt und das kann er sehr gut vermitteln. So gut, dass ich fast kein Brot mehr kaufe, seit ich das Buch gelesen habe und dafür ein blubbernder Sauerteig in meiner Küche wohnt (er heißt Ryen). Die jahrelange Beschäftigung mit dem Thema und die immense Sachkenntnis sorgen für eine fundierte Grundlage.

Wer Pollan mal in Aktion sehen will, hat unter anderem bei diesem Google Talk die Gelegenheit dazu:


Michael Pollan: Kochen. Eine Naturgeschichte der Transformation. Aus dem Englischen von Katja Hald, Enrico Heinemann und Renate Weitbrecht. Verlag Antje Kunstmann, unveränderte Sonderausgabe 2015. 523 Seiten, € 15,-. Deutsche Erstausgabe Kunstmann 2014. Originalausgabe: Cooked. A Natural History of Transformation. Penguin 2013.
Das Zitat stammt von S. 20

3 Gedanken zu “Michael Pollan: Kochen

  1. Stephanie Jaeckel 14. Juni 2016 / 18:40

    Ich koche gerne, obwohl ich es nicht rasend besonders gut kann. Aber es gibt mir abends das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein. Und nicht selten habe ich in der Küche schon eine gute Idee für die Arbeit gehabt. Während meines Studiums habe ich es oft bedauert, so gar nichts mit den Händen zu machen (ausser tippen). Kochen war auch da wie ein Anker im „richtigen“ Leben. Ich möchte es echt nicht missen.

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    • Marion 14. Juni 2016 / 23:24

      Kochen ist die einzige Aufgabe im Haushalt, die ich fast immer gerne mache. Manchmal muss ich mich ein bisschen dazu durchringen, aber am Ende macht es eigentlich immer Spaß. Wenn ich eine zeitlang, im Urlaub zum Beispiel, nicht kochen kann, fehlt es mir irgendwann. Ich weiß nicht, ob ich bei meiner „unter der Woche“-Küche unbedingt von Kreativität sprechen will, aber es ist auf jeden Fall ein netter Ausgleich zu dem, was ich sonst den ganzen Tag mache.

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  2. Tobias Illing 16. Juni 2016 / 16:49

    Na wenn das mal nicht das ideale Buch für deine Rezepte-Kolumne ist. 😉

    Ich halte es in der Küche mit dem dicken Koch aus „Ratatouille“ und dessen Maxime: „Jeder kann kochen.“ Dabei ist es ganz gleichgültig, ob man Nudeln mit Tomatensauce zusammenrührt, oder einen Lammbraten mit Speckbohnen. Besser als der Anmehrbeutel von Maggi ist es allemal. Die Unlust zu kochen nach langen Arbeitstagen kann ich allerdings auch gut nachvollziehen – dem ist aber dank Tupperware und Eisfach ganz gut beizukommen. Das Brotbacken habe ich übrigens seit einigen Monaten ebenfalls für mich entdeckt. Günstiger, kreativer und gesünder als Luft mit Kruste von den Bäckerketten. Und längst nicht so kompliziert, wie man meint. Der Sauerteig im Kühlschrank ist erstaunlich genügsam. Vielleicht sollte ich ihm auch mal einen Namen geben.

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