Sunjeev Sahota: The Year of the Runaways

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„This life. It makes everything a competition. A fight. For work, for money. There’s no peace. Ever. Just fighting for the next job. Fight, fight, fight.“

Mit seiner (bisher nicht übersetzten) Geschichte von drei indischen Migranten in England war Sahota ein heißer Kandidat für den diesjährigen Man Booker Prize, den er dann aber knapp verpasst hat.

Der Roman handelt von drei indischen jungen Männern, die außer ihrer geografischen Herkunft fast nichts gemeinsam haben. Randeep stammt aus einer soliden Mittelschicht-Familie, Avtars Vater hält die Familie mühsam mit einem Geschäft über Wasser und Tochi hat als Unberührbarer das Wenige, das er jemals besessen hat, verloren. So unterschiedlich wie ihre Hintergründe sind auch ihre Wege nach England, wo sie hoffen, ein besseres Leben zu finden.

Stattdessen finden sie sich in einem heruntergekommenen Haus in Sheffield wieder, in dem sie mit anderen Männern zusammenleben, die illegal auf einer Baustelle arbeiten. Das Geld reicht gerade so zum Überleben, die erträumten Ersparnisse lassen sich so nicht anhäufen und ob es nächste Woche noch Arbeit geben wird, weiß auch niemand. Von Zusammenhalt ist in dieser Konkurrenzsituation natürlich nichts zu spüren. Randeep hofft, bei seiner Ehefrau Narinder leben zu können, einer tief religiösen jungen Frau, die als Tochter indischer Eltern in England geboren wurde und aufgewachsen ist, und ihm mit einer Hochzeit zum Visum verholfen hat. Doch die macht ihm schnell und unmissverständlich klar, dass sie exakt ein Jahr lang auf dem Papier verheiratet sein werden und sonst nichts.

Der Roman springt besonders zu Beginn zwischen verschiedenen Zeitebenen. Zwischen den aktuellen Kämpfen um Arbeit und einen Schlafplatz werden die Geschichten und Hintergründe der Charaktere erläutert, die verschiedener nicht sein könnten. Konflikte sind vorprogrammiert, vor allem für Tochi, dessen Status als Unberührbarer ihn auch nach England verfolgt. Doch trotz der ausführlichen Einführung der Charaktere bleiben diese blass und nicht greifbar. Ihr Handeln scheint nur in ihrer Herkunft und gesellschaftlichen Rolle begründet zu sein, eine darüberhinausgehende Motivation ist selten erkennbar, was sie oft schablonenhaft und stereotyp erscheinen lässt. Bei mir hat das leider dazu geführt, dass ich überhaupt kein Interesse an den Charakteren und ihrem Schicksal entwickelt habe.

Das, was ihnen in England widerfährt, liest sich dann auch wie ein Katalog dessen, was Einwanderern Schlechtes passieren kann. Obdachlosigkeit, skrupellose Arbeitgeber, noch skrupellosere Arbeitgeber die Pässe einkassieren, von den eigenen Landsleuten abgewiesen oder ausgenutzt werden, ständige Angst vor der Polizei, mangelnde medizinische Versorgung, miserable Ernährung, furchtbare Jobs mit furchtbarer Bezahlung. Mir ist klar, dass der Autor das macht um auf die prekäre Situation von Einwanderern hinzuweisen. Aber so wie hier Zufall auf Schicksalsschlag auf Glücksgriff folgt, hat das alles etwas klischeehaftes. Zu guter Letzt schüttet der „zehn Jahre später“-Epilog nochmal eine ordentliche Wolke Puderzucker auf alles.

Der Text ist eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Migrations-Realität in England und vielen anderen europäischen Staaten. Er will alles zum Ausdruck bringen, alle Hoffnungen, alle Schwierigkeiten, alle Not. Als Reportage hätte das sicher super funktioniert. Als Roman wirkt es leider ziemlich hölzern und konstruiert.


Sunjeev Sahota: The Year of the Runaways. Alfred A. Knopf 2015. 484 Seiten, ca. € 12. Originalausgabe: Pan Macmillan 2015.

Zitat von S. 229

4 Gedanken zu “Sunjeev Sahota: The Year of the Runaways

  1. serendipity3012 23. Januar 2016 / 11:29

    Schade… Der Roman war mir auch schon aufgefallen und ich war gespannt auf die ja vermutlich kommende Übersetzung. „Hölzern und konstruiert“ klingt nicht so einladend. 😉

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    • March Hare 23. Januar 2016 / 15:12

      Es tut mir immer so leid, wenn ich Bücher ruiniere! Aber von dem hier hatte ich mir tatsächlich ganz deutlich mehr erhofft. Ich glaube, „Tiefland“ hattest du auch gelesen, oder? Da fand ich die Migrations-Thematik deutlich überzeugender, wenn auch weit weniger prominent.
      Du könntest „Die Wandlungen des Pran Nath“ von Hari Kunzru mögen. Das gibt es leider nicht mehr regulär, aber gebraucht ist es günstig zu haben und tatsächlich ein ganz tolles Buch. Vielleicht stolperst Du ja mal irgendwo drüber.

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      • serendipity3012 23. Januar 2016 / 18:42

        Danke für den Tipp!

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