Ein Zufall führt die Brüder Gräser, Henri Oedenkoven und Ida Hoffmann 1900 in Veldes, dem heutigen Bled in Slowenien zusammen. In langen und tiefen Gesprächen spüren sie eine tiefe Verbundenheit und eine gemeinsame Abneigung gegen den Zustand der modernen Gesellschaft. Sie wollen weg von Kapitalismus und Industrialisierung, sich frei machen von den Zwängen der Zeit. Zurück zur Natur, das aber keineswegs reaktionär gedacht, sondern ganz fortschrittlich. Und das nicht nur theoretisch, sondern praktisch umgesetzt in einer Lebensgemeinschaft, die ihren Vorstellungen entspricht.
„Sie werden nie mehr eingezwängt zwischen Plüsch und Plunder sein, stattdessen nackt in der verschwenderisch scheinenden Sonne liegen.“
Nur wenige Monate später, aber nach einer beschwerlichen Suche, finden sie den perfekten Ort dafür. Im Tessin, auf einem Hügel über Ascona und mit Traumblick über den Lago Maggiore, finden sie ihren „Wahrheitsberg“, einen wirtschaftlich kaum mehr genutzten und nicht bewohnten Hügel, der alles zu haben scheint, was sie für ihr Unterfangen benötigen. Mit Enthusiasmus starten sie in ihr neues Leben, das zum Modell werden soll für die gesamte Gesellschaft. Licht und Luft braucht der Mensch, so lehrt es damals populäre Arnold Rikli, dem man auf Monte Verità folgt und dessen Lehren als Basis für das neue Sanatorium dienen sollen. Auf dem Hügel ist man meist nackt, badet täglich in Licht und Luft, und nur beim Weg ins Dorf trägt man, um keinen Missfallen zu erregen, luftige, weit geschnittene Gewänder. In Ascona denkt man sich natürlich seinen Teil über die Aussteiger aus dem Berg, die in spärlichen Hütten in wilder Ehe leben, sich als Selbstversorger versuchen und sich vegetarisch oder vegan ernähren.
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