Das Grauen im Grün – „Die Holländerinnen“ von Dorothee Elmiger

Eine Schriftstellerin soll bei einem Vortrag vom Prozess des Schreibens berichten. Stattdessen gerät ihre Vorlesung zu einer Auseinandersetzung mit den Grenzen des Erzählens.

Das Dilemma der Autorin beginnt mit einem Anruf. Ein bekannter Theatermacher möchte ein neues Stück erarbeiten, eine Auseinandersetzung mit zwei Todesfällen im Dschungel von Panama. Die Niederländerinnen Kris Kremers und Lisanne Froon waren im April 2014 bei einer Wanderung im Dschungel Panamas scheinbar spurlos verschwunden. Eine groß angelegte Suchaktion blieb erfolglos. Die sterblichen Überreste der beiden Frauen wurden erst bedeutend später aufgefunden. Anlass zu Spekulationen bieten bis heute ihre Telefon-Protokolle und Bilder auf einer ihrer Digitalkameras, die scheinbar wahllose Aufnahmen einer nächtlichen Landschaft zeigen.

Der Theatermacher möchte sich mit dem Stoff vor Ort auseinandersetzen und alle, die daran mitarbeiten, sollen das ebenfalls tun. So gelangt die Schriftstellerin nach einer beschwerlichen Reise in einen Ort in Panama, von dem aus die Gruppe sich den Weg in den Dschungel und mit ihm den Stoff erarbeiten will. Der Autorin widerfährt, was auch vielen anderen vor ihr schon widerfahren ist: Sie ist überfordert von der übermächtigen Natur, der Vegetation, die Schönheit und Hölle gleichermaßen ist und um so viel größer und respekteinflößender als das, was sie als Europäerin gewohnt ist. In der überbordenden Natur lauern Fallstricke und Gefahren, deren Horror schon anderen zum Verhängnis geworden ist. An Referenzen dafür mangelt es nicht, immer wieder zitiert wird unter anderem Werner Herzog und sein Klassiker Fitzcarraldo, dessen gesamte Entstehungsgeschichte ja bis heute für Größenwahn und Gewalt, sowohl in der Geschichte als auch im Entstehungsprozess, steht.

„Im Gegenteil hätten die Tropen sie aufgerieben, sie alle seien zunehmend dünnhäutiger, nervöser geworden, hätten sich hoffnungslos umzingelt und zugleich verlassen gefühlt, und der Regen, der auch in dieser Nacht pausenlos gefallen sei, habe alles Lebendige scheinbar potenziert, die Zyklen beschleunigt – der Raum, so das Gefühl, sei bis zum Bersten gefüllt gewesen.“

– S. 113 – 114

Mein persönliches Faszinosum war, wie für so viele, der Vermisstenfall an sich, über den ich mehrere halbseidene True Crime-Formate gesehen hatte, als ich vor einigen Monaten mit hohem Fieber und unter dem Einfluss starker Schmerzmittel im Bett lag und kaum länger als zehn Minuten wach bleiben konnte – der beste Zeitpunkt für True Crime! Ich hatte die Geschichte in Folge meines Zustands vergessen, und erst beim Lesen des Romans wurde sie nach und nach in all ihrem Horror wieder an die Oberfläche meines Bewusstseins gezerrt. Der Horror dürfte aber auch ohne diesen Hintergrund nachvollziehbar werden, wenn die Theatergruppe in den Dschungel aufbricht, um sich ohne adäquate Ausrüstung oder gar Navigationsgeräten auf die Spuren der toten Frauen zu begeben. Die Autorin, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehört, den Prozess zu protokollieren, kapituliert bald und gibt das Erzählen auf. Nicht nur hindert sie eine Handverletzung schon rein mechanisch am Schreiben, sie findet auch keinen Weg, die Ereignisse in eine ihr später noch verständliche Schriftform zu bringen. Sie stößt im Dschungel Panamas an die Grenzen des von ihr Fass- und Erzählbaren.

Trotz des schmalen Umfangs mangelt es den Holländerinnen sicher nicht an Substanz. Elmiger erzählt eine sehr persönliche Geschichte vom Scheitern des Erzählens, aber auch von der Auseinandersetzung mit fordernden Stoffen und von Gewalt auf so vielen Ebenen, nicht zuletzt auch in einem Kultur- und Kunstbetrieb, der es einzelnen nicht nur erlaubt, ohne Rücksicht auf andere und ihre Grenzen zu handeln, sondern daraus auch noch einen Geniekult ableitet. Die Holländerinnen ist also keine leichte Lektüre und sperrt sich dem Zugang noch mehr durch die indirekte Rede, in der fast durchgehend erzählt wird. Denn es ist die Wiedergabe einer Vorlesung, in der die Schriftstellerin berichtet, dass es ihr schwerfalle, vom Schreiben zu sprechen, seitdem sie auf dieser Reise gewesen sei.

Die Holländerinnen ist eine Auseinandersetzung mit dem Erzählen von Gewalt, mit der Faszination die von ihr auszugehen scheint, vom „Hinstarren aufs Unheil“. Elmiger thematisiert die künstlerische wie theoretische Auseinandersetzung damit über zahlreiche Referenzen, die teils in Zitaten, teils nur durch die Erwähnung von Namen oder Titeln in den Text eingebunden werden. Eine eindeutige Perspektive biete der Roman nicht, zeigt aber wie komplex das Verhältnis von Gewalt und dem Erzählen davon verbunden sind.


Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen.
Hanser 2025, 156 Seiten.

978-3-446-28298-8


2 Antworten zu „Das Grauen im Grün – „Die Holländerinnen“ von Dorothee Elmiger”.

  1. Avatar von Alexander Carmele

    Aber, durch das Ende, bricht sie eine Art Zirkel, d.h. das engumschlossene Netz der indirekten Rede bricht sich bahn durch das Öffnen einer Himmelsschneise, die gleichzeitig die Lücke aus dem Gewaltzirkel bietet, gleichsam eine Form der Erzählung, die es eben unterlässt, voyeuristisch auf Gewalt zu blicken. Gehört für mich zu den Lektürehöhepunkten des Jahres. Schöne Besprechung!!

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Das stimmt, sehr gut getroffen! Es ist wirklich bemerkenswert, wie sie den Voyeurismus vermeidet, der inzwischen ja fast untrennbar mit jeder Erzählung von Gewalt und insbesondere über den Tod dieser beiden Frauen verbunden ist.

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