Internationale Beziehungen – „The Thing Around Your Neck“ von Chimamanda Ngozi Adichie

Geister im Wohnzimmer, Schreib-Workshops im Luxus-Resort und exzentrische Künstlerinnen im Keller – Adichie versammelt im Erzählungsband The Thing Around Your Neck zwölf Texte, die von sehr unterschiedlichen Aspekten der nigerianischen Gegenwart und Vergangenheit berichten.

Viele der Themen, die man aus Adichies Romanen kennt, finden auch in den kürzeren Texten dieser Sammlung Widerhall: Sie schreibt vom Traum und dem desaströsen Ende von Biafra, von nigerianischen Frauen, die ihr Glück im Ausland suchen und nicht immer finden und von brutalen Zusammenstößen zwischen christlicher und muslimischer Bevölkerung in Nigeria.

Eine der stärksten Erzählungen in dieser Sammlung ist die titelgebende. In „The Thing Around Your Neck“ erzählt Adchie von Akunna, einer jungen Frau, die mit großen Hoffnungen in die USA emigriert und mit einer harschen Realität konfrontiert wird. Sie ist völlig verloren in der fremden Kultur, nachts kann sie nicht schlafen, weil sie das Gefühl hat, dass sich etwas um ihren Hals legt und ihr die Luft zum Atmen nimmt. Statt großem Auto und großem Haus findet sie einen unter der Hand bezahlten Job in einem Restaurant und die Liebe eines Mannes, der in Slums reist, um die „echte Bevölkerung“ kennenzulernen und es für geistreich hält festzustellen, dass ihr Name sich auf „Hakuna Matata“ reimt. Akunna weiß nicht, was das heißt, hat den König der Löwen nie gesehen und hat auch überhaupt keine Lust, ihm mal die super authentischen Townships von Lagos zu zeigen. Und doch lässt sie sich auf diese Liebe ein.

„You did not know that people could simply choose not to go to school, that people could dictate to life. You were used to accepting what life gave, writing down what life dictated.“

– S. 121

Der anhaltende koloniale Blick auf die afrikanischen Kulturen ist ein Thema, das sich auch in anderen Texten findet. So erzählt „Jumping Monkey Hill“ von einem Workshop für afrikanische Autor*innen, initiiert von einem Briten, der für sich beansprucht, hervorragend in Afrikanistik (in Oxford) ausgebildet zu sein und ein umfassendes Verständnis für die afrikanische Kultur zu haben. Der Protagonistin der Geschichte, einer nigerianischen Autorin, hält er vor, ihr Text sei einfach zu unafrikanisch. Eine solche Geschichte könne sich in Nigeria gar nicht zutragen. Niemand der Teilnehmenden kann ihn ernst nehmen, aber sagen will auch niemand was, denn immerhin kann er möglicherweise lukrative Verlagskontakte in London vermitteln.


Felix-Jud-Preis für widerständiges Denken für Chimamanda Ngozi Adichie

Am 20. September 2025 wurde Adichie der erste Felix-Jud-Preis für widerständiges Denken verliehen. Der Felix Jud Friends e. V. zeichnet mit diesem Preis seit diesem Jahr Menschen aus, die sich „der Humanität, Freiheit und Diskussionskultur und Meinungsfreiheit verdient gemacht haben. Ganz im Sinne Felix Juds und seinem Einsatz für diese Werte“. Die Preisverleihung in der Elbphilharmonie war zugleich die Eröffnung des diesjährigen Harbour Front Literaturfestivals.

Die Reden von Marina Krauth, die für den Stifter Felix Jud Friends e. V. vor Ort war, und Chimamanda Ngozi Adichie standen unter dem Motto „Trotz aller Umstände“, unter dem Felix Jud 1923 seine Bücherstube in Hamburg gründete. Dass es sie mehr als hundert Jahre nicht nur immer noch gibt, sondern sich auch sein Denken einen Weg durch die Zeit geschlagen hat, zeigt, dass es sich lohnt, sich gegen schwierige Zeiten zu stemmen, so aussichtslos es scheinen mag.

Ein paar Eindrücke von der Preisverleihung findet ihr auf meinem Instagram-Account.


Entstanden sind die Texte ab den frühen 2000ern und damit lange vor Adichies durchschlagenden Erfolg mit Americanah. Das Thema der Migrationserfahrung behandelt sie aber auch hier schon ausführlich. Die Überforderung in der Fremde, die enttäuschten Hoffnungen, die man in den eigenen Neustart gesetzt hatte und die Distanz zur Familie, die nicht nur durch die Kosten eines Flugtickets unüberbrückbar wird. Sie schildert vornehmlich die Erfahrungen von Frauen, die in die USA emigrieren um zu studieren und ihr eigenes Leben voran zu bringen, stattdessen aber oft genug Menschen ausgesetzt sind, die ihre verzweifelte Situation rücksichtlos ausnutzen. Sie lässt sie aber nicht als hilflose Opfer zurück, sondern schildert ihre Resilienz und ihre Fähigkeit, trotz aller Rückschläge ihren Weg zu gehen.

Adichie thematisiert Konflikte zwischen den Kulturen, Geschlechtern und Generationen, zwischen Religionen und Einkommensklassen. Sie wirft nicht nur einen kritischen Blick auf die postkoloniale Basis der internationalen Beziehungen, sondern auch auf das Verhältnis zwischen der Schwarzen Bevölkerung der USA und afrikanischen Migrant*innen. Dabei setzt sie um, was ihr selbst ein besonderes Anliegen ist: Die Repräsentation unterschiedlicher Lebensrealitäten, die zu oft in einen Topf geworfen werden und als eindimensionales Zerrbild, als einzige Geschichte von Afrika widergegeben werden. Stattdessen verbindet sie spezifisch kulturelle Eigenheiten mit der Allgemeingültigkeit der menschlichen Erfahrung und erzählt facettenreich von den Chancen und Herausforderungen, die in jeder Beziehung stecken.


Chimamanda Ngozi Adichi: The Thing Around Your Neck.
4th Estate 2017, 217 Seiten.

978-0-00-730621-3

Auf Deutsch ist diese Sammlung in einer Übersetzung von Reinhild Böhnke unter dem Titel Heimsuchungen bei Fischer erschienen.

Noch mehr Adichie

Adichie hat in den letzten Jahren zahlreiche Preise gewonnen, darunter den Orange Prize for Fiction für Half of a Yellow Sun, der sich mit der Gründung und dem Fall Biafras befasst. Für diesen Preis stand sie auch zwei mal auf der Shortlist: Mit dem internationalen Bestseller Americanah, der Geschichte einer nigerianischen Frau, die in die USA auswandert und mit Purple Hibiscus, einer Familiengeschichte vor dem Hintergrund der nigerianischen Militärdidaktur in den 90er Jahren spielt.


2 Antworten zu „Internationale Beziehungen – „The Thing Around Your Neck“ von Chimamanda Ngozi Adichie”.

  1. Avatar von thursdaynext
    thursdaynext

    Schön dass Adichie diesen gut dotierten Preis bekommen hat. Verdient.

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Das stimmt! Eine schöne Anerkennung für ihr Werk und ihr Engagement.

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