Alltägliche Wikinger – „Embers of the Hand“ von Eleanor Barraclough

Erik der Rote, Leif Eriksson und Sweyn Forkbeard sind die glänzende Speerspitze der Wikinger-Kultur. Zumindest, wenn man findet, dass Eroberung ein glänzendes Geschäft ist. Aber was ist mit den anderen, den vielen tausenden Menschen, die zur gleichen Zeit lebten, als Weberinnen, Schafzüchter, Liebende und Trauernde? Eleanor Barraclough setzt ihnen in diesem Buch ein ebenso aufschlussreiches wie unterhaltsames Denkmal.

Die Wikinger sind heute in ihrer Darstellung oftmals klischeebeladen. Daran schuld sind nicht zuletzt Hägar, der Schreckliche, Wagners Ring der Nibelungen oder Nackenbeißer der Kategorie Das Herz des Wikingers. Dass Wikingerhelme in Wirklichkeit keine Hörner hatten, hat sich irgendwann wahrscheinlich rumgesprochen, aber das Bild des wilden Nordmanns mit wehendem blonden Haar ist einfach zu repräsentabel um zu verschwinden.

Eleanor Barraclough forscht zu nordischen Kulturen des Mittelalters, sowohl in ihrer Heimat in Großbritannien, als auch im hohen Norden, unter anderem in Grönland. Ein Interessenschwerpunkt gilt dabei der Wahrnehmung des Übernatürlichen und der Frage, wie die Natur, ihre Räume und Besonderheiten, diese formen und beeinflussen. In Embers of the Hand spielen deshalb Religion und Glaube durchaus eine Rolle, vor allem aber geht um die ganz normalen Freuden und Fallstricke des Alltags. Gebrochene Herzen, gelangweilte Kinder, verknotete Haare, Männer, die zu lange in der Kneipe sitzen und Verstopfung – all das hat Jahrtausende alte Spuren in der Welt hinterlassen, die uns nun mehr erzählen von denen, die einst Grönland besiedelten, Sklaven mit Byzanz handelten und Northumbria überfielen.

Die Autorin glänzt mit Wissen und gewinnt durch Humor. Selbst wenn man sich bisher nicht überragend für die Wikinger interessiert hat, macht es einfach Spaß, dieses Buch zu lesen. Barraclough hat nicht nur eine tiefe Kenntnis der Materie, sondern auch eine spürbare Begeisterung dafür. Egal wie wichtig es einem ist, dass irgendwo ein besonders gut erhaltenes Brettspiel gefunden wurde, ihre Begeisterung dafür springt über und man freut sich einfach mit über dieses grandiose hnefatafl-Brett.

„Clothes, toys and gaming pieces, combs, trash and treasure, love notes and obscenities carved into slivers of wood: the sort of intimate ephemera that connect us to the people of the past.“

– S. 12

Sie lenkt den Fokus von den heroischen (oder bedrohlichen, je nach Perspektive) Nordmännern auf jene, die im Hintergrund arbeiteten und lebten und wie in jeder Gesellschaft das Rückgrat der wenigen waren, deren Namen man noch immer kennt und die oft genug Frauen waren. Bevor auch nur ein großer Seemann auf Erkundungsfahrt gehen konnte, musste jemand Schafe hüten, Wolle spinnen, Segel weben, Bäume fällen, Bretter schneiden, Seile drillen, Korn anbauen, Essen kochen, Kinder beaufsichtigen und alles, was man eben so tun muss, um eine raumgreifende Seefahrernation am Leben, funktional und bei Laune zu halten. Für letzteres sorgten diverse Instrumente, Brettspiele unterschiedlicher Art und beliebte Ratespiele, die dank der relativ neu entwickelten Runen Verbreitung fanden und erhalten blieben.

Aber auch die brutalen Seiten dieser Gesellschaft finden ihren Platz im Buch. Viele der gefundenen Skelette zeigen Spuren zahlreicher Verletzungen, die vermutlich nicht nur in Kämpfen entstanden sind, sondern auch im ganz normalen Alltag, bei der Jagd oder der mühsamen Arbeit in der Landwirtschaft. Die Versklavung von Menschen war so normal, dass in einigen Regionen bis zu einem Drittel der Menschen als nicht frei galten und der Umgang war oft nicht zimperlich. Oft galt es gar als normal, Sklaven und Sklavinnen als Grabbeigabe zu töten. Das änderte sich erst langsam mit der christlichen Missionierung – wenngleich der Hauptkritikpunkt zunächst war, dass christliche Menschen in nicht-christliche Länder verkauft wurden.

Barraclough sammelt Spuren dieser Menschen und ihrer ganz normalen Leben in diesem Buch und erinnert an das, was man vor der Vitrine mit den Glasperlen schnell vergisst: Sie waren einst jemandem wichtig und gehörten einst einer Person, die gar nicht sagenumwoben sondern sehr reell war und deren Leben wir tausend Jahre später zumindest noch als Bruchstück greifen können. Und so können wir auch heute noch die Augen verdrehen über Gydas Mann, der um 1200 herum so lange in einer Kneipe herumlungerte, bis jemand einen Stock mit wütenden Runen seiner Frau überbrachte – womit wir wieder bei Hägar dem Schrecklichen und seinem gehörten Helm wären.


Eleanor Barraclough: Embers of the Hands. Hidden Histories of the Viking Age.
Profile Books 2025, 373 Seiten.

9781788166751


2 Antworten zu „Alltägliche Wikinger – „Embers of the Hand“ von Eleanor Barraclough”.

  1. Avatar von eimaeckel

    Die Wikingerfrauen haben ja nicht nur Wolle gesponnen und ihre Männer verprügelt, manchmal fuhren sie mit auf Kriegszüge und wurden mit Schwertern begraben. Wird es eine deutsche Ausgabe geben?

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Das stimmt! Auch das wird im Buch thematisiert.
      Die übrigen Bücher der Autorin sind leider alle nicht übersetzt worden und auch auf dieses finde ich leider keinen Hinweis beim VLB. Dabei hat es auf dem internationalen Markt viel Anfang gefunden.

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