Im Wald der Monarchen – „Flight Behaviour“ von Barbara Kingsolver

Wenn sich irgendwo ein gigantischer Schwarm Monarchfalter niederlässt, dann ist das ein gewaltiges Naturerlebnis. Für Dellarobia Turnbow in Barbara Kingsolvers Flight Behaviour ist es mehr als das – es ist ihr ganz persönliches Wunder und ihre Chance auf ein ganz neues Leben.

Dellarobia hat keine Lust mehr. Nicht auf ihren Namen, aber den wird sie nicht los, nicht auf ihre Familie und nicht auf ihr Leben auf der Farm ihrer Schwiegerfamilie. Der Versuch, in neuen Wildlederstiefeletten davor wegzulaufen, scheitert an einem ihr neuem Phänomen: Mitten im Wald wähnt sie sich plötzlich in einer mystischen Erscheinung, die winterkahlen Bäume scheinen in Flammen zu stehen.

Monarchfalter, lernt sie wenige Tage später, sind es, die millionenfach in den Bäumen gelandet sind, um direkt hinter ihrem Haus zu überwintern. Dellarobia hat nie etwas kennengelernt als die Enge ihrer Heimatstadt Feathertown, höchstens geht sie mal in der Nachbarstadt einkaufen. Was draußen in der Welt passiert, davon bekommt sie wenig mit. Eine Zeitungsabo oder gar ein Computer mit Internetanschluss sind für die Familie unerschwinglich. Falter interessieren sie eigentlich nicht einmal marginal. Das erratische Verhalten der Monarchfalter aber, in der Gemeinde erst als göttliche Manifestation gedeutet, entpuppt sich als ihre große Chance. Dellarobia ist plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit, erst ihrer Gemeinde, dann der nationalen Presse. Die Monarchfalter bringen Menschen nach Feathertown, die das Spektakel sehen wollen und es bringt Ovid Byron, einen Biologen, der sein Leben der Migration dieser Tiere verschrieben hat. Der weltgewandte Mann, der so viel weiß und dabei so charmant ist, der ihr sogar erklären kann, woher ihr Vorname kommt, wird zum Katalysator ihrer Verwandlung.

„These people had everything. Education, good looks, boots whose price tags equaled her husband’s last paycheck. Now the butterflies were theirs too.

– S. 149

Kingsolvers Roman erschien 2012 und ist in vielen Aspekten noch heute aktuell. Ovid ist der erste Wissenschaftler, der nach Feathertown kommt und den Leuten begreiflich machen will, dass der Klimawandel keine Liberalen-Propaganda ist, keine Erfindung von Al Gore. Er stößt auf wenig Gegenliebe. Die Leute befinden achselzuckend, wenn man sie schon für Hillbillies halte, dann würde man sich eben auch wie ein Hillbilly benehmen. Aber Kingsolver zeigt auch die andere Seite der Medaille – bei allen Zweifeln an wissenschaftlichen Fakten sind Dellarobia und ihresgleichen nicht die großen Treiber der Treibhausgasemission. Dass sie fast alles gebraucht kauft, noch nie geflogen ist und Fleisch wenn überhaupt von der eigenen Weide kommt, ist für Dellarobia keine bewusste Entscheidung, sondern von der Armut diktiert.

Flight Behaviour ist ein Porträt des Lebens im Bible Belt, in einer ländlichen Gesellschaft, in der die große Politik eine ganz kleine Rolle spielt, weil man ohnehin kaum etwas davon mitbekommt. Die Welt ist groß und wahrscheinlich feindselig, man sieht sie sich besser nicht detailliert an, warum auch, wenn man doch alles zu Hause hat und das seit Generationen. Kingsolver erzählt vom Klimawandel, vom Kampf der Wissenschaft gegen ihre Leugner und von einer Frau, die erst jezt erkennt, dass das Leben ihr mehr bieten kann, als sie bisher zu glauben gewagt hat. Sie lässt Welten aufeinander prallen, die gegensätzlicher fast nicht sein könnten. Und doch hat der Roman seine Längen. Kingsolver mag Dialoge und sie mag detaillierte Schilderungen. Das alles trägt zweifelsohne zu Charakterisierung und Atmosphäre bei, aber man kennt irgendwann wirklich jeden Winkel des neuen Secondhand-Ladens in Cleary, Tennessee und jedes Sonderangebot im Dollar-Store, nachdem man Dellarobia und ihrem Mann zugesehen hat, wie sie Weihnachtsgeschenk-Ideen für die Kinder finden und verwerfen.

Bei aller Detailverliebtheit kommen manche Charakterisierungen fast zu kurz. Einige der Charaktere verharren sehr in ihren Rollen und bleiben dabei blass und kaum nachvollziehbar, während Ovid nie seine nahezu perfekte Rolle als übergenialer Wissenschaftler verlässt, der für sein Thema brennt. Obwohl Dellarobias Entwicklung im Mittelpunkt des Romans steht, erklären sich ihre Entscheidungen und Handlungen am Ende kaum. Das sorgt für ein insgesamt nicht ganz stimmiges Bild des Romans und hinterlässt stellenweise den Eindruck, dass diese Aspekte auf dem Altar der Botschaft geopfert werden: Ihr müsst den Klimawandel halt schon Ernst nehmen.


Barbara Kingsolver: Flight Behaviour.
faber and faber 2012, 436 Seiten.

978-0-571-29077-2

Eine deutsche Übersetzung von Sylvia Spatz ist unter dem Titel Das Flugverhalten der Schmetterlinge erschienen.


Auch wenn auf dem Cover steht „Winner of the Orange Prize“ hat es 2013 für Barbara Kingsolver mit diesem Roman nur für die Shortlist des bis dahin in „Women’s Prize for Fiction“ umbenannten Literaturpreises gereicht. Diese Rezension ist Teil des gleichnamigen Leseprojekts.


2 Antworten zu „Im Wald der Monarchen – „Flight Behaviour“ von Barbara Kingsolver”.

  1. Avatar von dj7o9

    Ich mochte bisher alle Romane von Barbara Kingsolver, allen voran Demon Copperhead, aber als Schmetterlings-Phobikerin ist der Roman hier ech harter Tobak für mich 😉 Ganz vielleicht, irgendwann – oder auch nicht 😉 Ganz liebe Grüße, Sabine

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Wie schön, dass du wieder kommentierten kannst!
      Das hier ist mein dritter Roman von Kingsolver und ich hab mir mit allen ein bisschen schwer getan – wobei ich Demon Copperhead noch nicht kenne.
      Als Schmetterlingsphobikerin ist das hier glaub ich ein echter Horrorroman. Trauben von Schmetterlingen, die von den Bäumen hängen, unter denen man die Stämme nicht mehr sieht und die auf geheime Zeichen hin plötzlich aufbrechen… Wären es Spinnen, ich hätte es ganz sicher nicht gelesen.

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