Die magische Drehtür – „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum

Menschen im Hotel war der Roman, der Vicki Baum 1929 weltberühmt machte. So unterhaltsam wie charmant schildert sie darin das Leben von Menschen, die während ihres Aufenthalts in einem Berliner Grand Hotel auf wundersame Art verwandelt werden.

Hotels sind dankbare Orte für Geschichten jeder Art, denn man kann mit großer Plausibilität sehr unterschiedliche Menschen an einem Ort zusammenbringen – wer zumindest das Zimmer zahlen kann, ist dabei. Fortwährend, so beobachtet es der kriegsversehrte Arzt Dr. Otterndorf, schaufelt die Drehtür Menschen herein und in die Gegenrichtung wieder hinaus und in den paar exklusiven Nächten zwischendrin krempelt sich vielleicht ihr ganzes Leben um. Vicki Baum nutzt für ihren Roman Menschen im Hotel die Kulisse des noblen Grand Hotel Berlin, wo sie eine alternde Ballerina, einen zwielichtigen Adligen, einen kleinen Buchhalter und einen Unternehmer in Bedrängnis zusammenbringt. Und dazwischen ist auch noch Raum für eine schöne junge Frau mit Stirnlocke, die so viel mehr will, als immer nur Briefe tippen. Für sie alle findet sich ein Platz in den Zimmern und Salons des Hotels, stets diskret bewacht von den Pagen. Vicki Baum erzählt mit wechselndem Fokus von den so unterschiedlichen Figuren, von wilden Fahrten im Automobil, Fassadenkletterern, geplatzten Deals und untreuen Ehemännern, die bis gestern noch dachten, sie seien grundsolide.

Das Grand Hotel gaukelt eine unbeschwerte Welt vor, das kann man für den Preis von 50 Mark pro Nacht aber auch erwarten. Der Teppich ist weich, die Böden glänzen, die Damen sind schön und die Musik beschwingt. Es ist eine Kulisse vor der man hervorragend so tun kann, als kenne man kein Leid auf dieser Welt. Doch hinter den doppelflügeligen Türen wird es komplexer, es wird in Kissen geweint, schöne Fassaden bröckeln und manch einer fragt sich, ob man es sich nicht hinter sicher lassen sollte, das Leben. Buchhalter Kringelein hat das im Grunde schon getan. Seit langem ist er leidend, nun weiß er endlich, dass er nicht mehr geheilt werden kann. Ganz verstaubt und in unmoderner Garderobe taucht er an der Rezeption auf und fordert ein anständiges Zimmer. Er passt nicht in dieses Hotel und gerade deshalb will er da sein – nachdem er Jahrzehnte mit Pfennig statt Mark rechnen musste, ist er nun wild entschlossen, alles zu verprassen, was er noch hat, ein paar Wochen noch teilzuhaben am Glanz und Lärm der Welt.

„Du lieber Gott, wie war man es gewohnt, daß die seltsamsten Metamorphosen mit den Herrschaften vorgingen, die aus der Provinz kamen und sich kurze Zeit im großen Hotel aufhielten!“

– S. 218

Nur wenige Zimmer weiter hadert die alternde Primaballerina Grusinskaja mit der Kunst und der Welt und ihrer eigenen Vergänglichkeit. Sie fürchtet, das Publikum wolle sie nicht mehr sehen, doch bringt es auch nicht über sich, die Bühne hinter sich zu lassen. Wer, wenn nicht sie, soll denn noch tanzen, richtig tanzen, die Schönheit hochhalten in einer Welt, in der es nur noch um Kommerz und Profit geht?

Die Menschen im Hotel leben mitten in der verheißungsvollen Zeit der Weimarer Republik, in der man sein Glück machen und vom Film träumen konnte, wie das junge Fräulein Flamm, das Flämmchen, die im Grunde in ganz schrecklichen Verhältnissen lebt, nach außen hin aber stets vergnügt und adrett sein muss, denn von was anderem kann sie nicht leben. Mit auf dieser trostlosen Seite der Goldenen Zwanziger stehen die Kringeleins dieser Welt, die jeden Pfennig umdrehen und kaum wissen, wovon sie übermorgen leben sollen, die jeden Mut verloren haben und kaum noch wissen, dass sie Mensch sind. Vicki Baum kreiert mit nur wenigen Figuren ein Gesellschaftsbild ihrer Zeit, das zeigt, wie erbarmungslos und ohne jede Aussicht auf Verbesserung die Lebensverhältnisse vieler waren.

Vicki Baum gelingt es, die Geschichten ihrer Figuren so miteinander zu verweben, dass in nur wenigen Tagen ein sehr zufälliges aber tragendes Netz aus Bekanntschaften, Freundschaften und Liebe entsteht. Ihre Charaktere kommen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen, sind Unternehmer, Künstlerinnen oder Gauner und passen doch hervorragend zusammen in dieser Kulisse, in der das alles mal egal ist und in der jeder Mensch höchst austauschbar ist. Unter den wachsamen Augen der Pagen verschwindet der eine und kommt der nächste, um das eilig frisch bezogene Bett in Beschlag zu nehmen. Die Drehtür schaufelt sie alle hinein und irgendwann auch wieder hinaus – nur einen nicht, der muss durch die Hintertür verschwinden.

Menschen im Hotel ist ein leichtgängiger und charmanter Roman. Literarisch ist er nicht der ganz große Wurf, das war aber auch nie das Ziel von Vicki Baum. Ihre Geschichte transportiert den Glanz des Grand Hotels ebenso wie die Schwere und Not der Zeit, in der er spielt. Baum konstruiert diesen Roman aus verschiedenen Perspektiven, wodurch er abwechslungsreich und kurzweilig wird und es gelingt ihr, ihre Charaktere bei aller Ambivalenz so nahbar zu gestalten, dass man selbst für den adligen Taschendieb noch Sympathien hegt. Auch hundert Jahre nach Erscheinen ist dieser Roman noch sehr unterhaltsam und lesenswert.


Vicki Baum: Menschen im Hotel.
Kiepenheuer & Witsch 2008, 318 Seiten.

978-3-462-03798-2


7 Antworten zu „Die magische Drehtür – „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum”.

  1. Avatar von soerenheim

    Ein häufig unterschätzter Roman. In dem Zusammenhang interessant ist auch „Hotel Amerika“ von Maria Leitner, das ähnlich polyphon erzählt ist, aber sehr viel stärker auf die Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel fokussiert. Ist im Gegensatz zu Baum auch schon gemein frei verfügbar.

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Das klingt wirklich gut! Danke dir für den Hinweis, ist notiert!

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      1. Avatar von soerenheim

        Die Autorin hat ein paar schöne Bücher geschrieben. Sehr zugänglich und trotzdem sehr gelungen.

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  2. Avatar von Andreas Kück - .LESELUST

    Liebe Marion!

    So eine wunderbare Rezension: Vielen Dank dafür! Auch ich habe diesen Roman sehr gemocht.

    Übrigens: Es gibt auch eine wunderbare Hörspielfassung aus dem Jahre 1958 mit einem ganz wunderbaren Ensemble.

    Liebe Grüße

    Andreas

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Danke, lieber Andreas! Ich hab deine gerade gestern auch gelesen und fand sie auch sehr schön.

      Und danke besonders für den Hörspiel-Tipp. Ich mache mich mal auf die Suche, das klingt super!

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  3. Avatar von Alexander Carmele

    Habe ich schon länger vor zu lesen, nun wird es wirklich mal Zeit! Danke!

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Gerne! Ich bin gespannt, was du dazu sagst.

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