Mitten im Hochsommer soll man sich Gedanken um Weihnachtskampagnen machen, abends die Kollegen auf ein Bier treffen und am Wochenende am Team-Event teilnehmen – Marisa hasst ihren Job in einer Werbeagentur so richtig. Davon erzählt Beatriz Serrano in Geht so mit extrem viel Humor und sehr ernsten Untertönen.

Es ist August, es ist heiß in Madrid, die meisten Menschen verlassen die Stadt und machen Urlaub. Nicht so Marisa, die es trotz der Hitze genießt, im Büro ihre Ruhe zu haben. Sie ist Head of Creative Strategy in einer Werbeagentur und weiß weder, was genau das ist, wie sie das geworden ist und wie genau sie die quälend langen Tage im Büro rumkriegen soll. Mit den anstehenden Weihnachtskampagnen für Staubsauger, Lippenstifte und Wimpernzangen auf jeden Fall nicht, das steht fest. Stattdessen guckt sie sich YouTube-Videos an von Kindern die hinfallen, Hunden die sich freuen und Leuten, die Pullover stricken.
Marisa hasst ihren Job so sehr, hasst das ganze Arbeitsleben so sehr, dass sie ohne Beruhigungsmittel gar nicht mehr durchkommt. Am Morgen wenn der Wecker klingelt, verkrampft ihr Herz sich auf die Größe einer Kichererbse. Auf dem Weg zur Arbeit fantasiert sie, wie schön es wäre, jetzt angefahren zu werden. Ein Wegeunfall! Eine Zeit der Lohnfortzahlung, in der sie nichts tun muss als mit gebrochenen Knochen dazuliegen, in der ihr niemand auf den Keks geht mit Kampagnen, Mails und Präsentationen.
Niemand auf der Arbeit teilt ihre Verzweiflung, nicht, seit es Rita nicht mehr gibt, die als einzige ihre Liebe zu Büchern und ihre Verachtung für phrasendreschende Manager in schlecht sitzenden Anzügen aus dem Kaufhaus teilte. Die als einzige „Geht so“ antwortete, wenn man sie fragte, wie es ihr geht und die ebenso lange stumm auf die Gran Vía starren konnte wie Marisa. Nun steht auch noch ein Teambuilding-Wochenende an. Ein ganzes Wochenende! Marisa speichert sich sicherheitshalber eine Erinnerung, vorher ihren Dealer zu kontaktieren. Nur Beruhigungsmittel und Alkohol werden nicht reichen, sie da durchzubringen. Wie zu erwarten nicht ihre beste Idee.
Serrano beschreibt in ihrem Debüt-Roman eine Arbeitswelt, die von Sinnlosigkeit und Entfremdung geprägt ist, in der man Leuten aufregende Titel gibt, die geschickt verschleiern, dass sie rein gar nichts leisten und die Gesellschaft ohne ihre Arbeit keine schlechtere wäre. Bullshit Jobs, um es mit Graeber zu sagen. Die Produkte, die sie bewirbt, könnten Marisa nicht weniger interessieren und trotzdem schleppt sie sich jeden Tag ins Büro um zu tun, wofür sie bezahlt wird und beteuert ihrer Mutter und allen anderen gegenüber, es ginge ihr gut. Empirisch betrachtet ist sie damit überhaupt nicht allein, aber sie fühlt sich so. Bitterböse, treffend und extrem lustig kommentiert sie ihre Arbeitswelt, die eifrigen Kolleginnen, die unnahbaren Vorgesetzten und die ganze sinnentleerte Welt, in der sie sich jeden Tag bewegen muss. Ich glaube immer nicht, wenn Leute vom Verlag sagen, sie hätten beim Lesen laut gelacht, aber hier stimmt es wirklich mal – ich habe mehrfach laut gelacht über die Reaktionen Marisas auf ihr Umfeld, über Situationen, in denen nur noch Galgenhumor hilft. Gleichzeitig bleibt es einem fast im Hals stecken, denn man weiß, dass dieser Humor die letzte Bastion vor der völligen Verzweiflung ist, vor dem endgültigen Abrutschen in eine Krise, aus der sie alleine nicht mehr herausfinden wird.
„Wenn du erst mal kapiert hast, dass die meisten Menschen auf der Arbeit dich komplett entmenschlichen, wird es viel einfacher, sie auch zu entmenschlichen.“
– S. 70
Geht so ist ein wahnsinnig lustiger Roman, über den ich sehr viel gelacht habe und in dem ich mir oft gewünscht habe, ich könnte mit Marisa das Büro teilen, der Text ist aber zugleich eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit der existenziellen Frage, die Marisa sich jeden Morgen stellen muss und mit der auch viele andere Menschen aufstehen – warum mache ich das und wie lange soll ich das eigentlich noch durchhalten? Wie lange will ich mich noch von Wochenende zu Wochenende durchhangeln, bevor ich endgültig zerbreche? Wie viele Menschen sehen eine Rippenserienfraktur als kleineres Übel als ihre Arbeit und kommen trotzdem jeden Morgen akkurat gekleidet zum Dienst und tun, als hätten sie richtig Bock, Wimpernzangen zu bewerben? Bis sie, wie Rita, eines Morgens nicht mehr kommen. Der Roman stellt nicht weniger in Frage als die gesamte Arbeitswelt und das Verständnis von Arbeit und ihrem Wert und Stellenwert.
Serrano gelingt es hervorragend, diese sehr ernsthaften Fragen in ein unterhaltsames, smartes, gut erzähltes Gerüst zu packen. Das Teamevent eskaliert vielleicht ein kleines bisschen zu sehr, aber anders als mit einem völligen Bruch kann diese Geschichte auch eigentlich nicht enden. Ein großartiger Roman für alle, die schon versehentlich die Datei alterdeinscheissernst.docx verschickt haben, bevor sie sie umbenannt haben – zugegeben ein Nischenmarkt, der vielleicht nur aus mir besteht – und alle, die hin und wieder mehr oder weniger an ihrem Job, ihrem Arbeitgeber und ihren Lebensentscheidungen verzweifeln.
Beatriz Serrano: Geht so.
Eichborn Verlag 2025, 238 Seiten.
978-3-8479-0212-6
Aus dem Spanischen (OT: El descontento) von Christiane Quandt
Der Verlag hat mir dieses Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, woran keine Bedingungen geknüpft waren. Meine Meinung wurde hierdurch nicht beeinflusst.


