Phantastische Gestalten – „Monster, She Wrote“ von Lisa Kröger und Melanie R. Anderson

Mit dem Untertitel „The Women Who Pioneered Horror & Speculative Fiction“ ist eigentlich schon viel über dieses Buch gesagt – von Frankenstein bis „Afrofuturist Horror“ werden hier Autorinnen von Horror, Utopien, Dystopien, SciFi und anderen Genres vorgestellt, in denen die Grenzen der Realität verlassen werden.

Monster, She Wrote beginnt mit einer Widmung „To all the girls who still sleep with the lights on, but read the scary stories anyway“ und das bin ich. Die Zeiten, in denen ich nur mit Nachtlicht einschlafe, sind vorbei, aber ich hatte und habe eine Grusel-Toleranz von 0,8. Das hat mich nie davon abgehalten, Gruselgeschichten zu lesen, die ich nicht verkraftet habe und ich mach es bis heute. Es ist meine persönliche Hot-Chip-Challenge. Auch Jahrzehnte später erinnere ich mich noch an die Geschichte eines Mannes, der auf hoher See entdecken muss, dass die vorgeblich leere Kajüte über seiner durchaus bewohnt ist*, was mir wirklich schlaflose Nächte beschert hat.

Phantastische Literatur und vor allem Horror muss sich immer gegen das Klischee der Trivialität verwehren. Ganz besonders galt dies für die sogenannte Gothic Fiction, die sich vor allem in England eine Zeit lang höchster Popularität erfreute und schon bald zum Inhalt literarischer Persiflagen wurde. Unter anderem in Northanger Abbey wird diese Art von Literatur zumindest mit einem Augenzwinkern betrachtet und irgendwann war das Genre so überreizt, dass angeblich mehr Parodien als ernst gemeinte Texte erschienen. Nun muss man zugeben, dass viele dieser Romane tatsächlich einem recht simplen und repetitiven Schema folgen. Zumindest ein Teil der Verachtung für diese Art von Roman kam aber auch daher, dass sowohl Produzentinnen als auch Rezipientinnen vor allen Dingen weiblich waren, womit klar war, dass diese Texte allein der seichten Unterhaltung dienen sollten, wie auch Sticken oder gefälliges Geklimper auf dem Klavier.

„While everyone else has been doing their own thing, women have been doing theirs, crafting tales about scientifically reanimated corpses, ghosts of aborted children, postapocalyptic underground cities.“

– S. 10

Die Autorinnen von Monster, She Wrote stellen Klassiker vor und graben in Archiven nach beinahe Vergessenem. Denn insbesondere das Horror-Genre wurde oft in Zeitschriften und als billiges Taschenbuch verlegt und die Texte gerieten ebenso schnell in Vergessenheit wie sie populär wurden. Einige der vorgestellten Autorinnen wurden mit nur wenigen Texten berühmt, andere waren One-Woman-Schreibfabriken, die einen Roman nach dem anderen verfassten, nicht selten weil sie sich selbst und ihre Familien damit ernähren mussten.

Mehr als fünfzig Autorinnen werden in dieser Sammlung vorgestellt, jeweils mit einem sehr kurzen Abriss ihrer Biographien und einigen Worten zu ihren wichtigsten Werken. Von Mary Shelley über Shirley Jackson und Angela Carter wird ein Bogen gespannt von den Ursprüngen der Gothic Fiction bis in die Gegenwart. Neben den Granden des Genres werden aber auch weniger bekannte Autorinnen vorgestellt, von denen viele nie in deutscher Übersetzung erschienen sind und deren Blütezeit vorbei zu sein scheint. Eine literaturwissenschaftliche Abhandlung findet hier nicht statt und ist auch nicht Ziel des Buchs. Stattdessen ist es ein abwechslungsreicher Blick auf die unterschiedlichen Zeiten und Bedingungen, in und unter denen Frauen Phantastik geschrieben haben und ein garantierter Leselisten-Verlängerer. Trotz der Kürze der jeweiligen Porträts gerät das Buch nicht oberflächlich. Wenn auch knapp, so gehen Kröger und Anderson durchaus auf die Frage ein, ob und inwiefern Frauen andere Geschichten geschrieben haben als ihre männlichen Kollegen (die sich oft genug dagegen verwahrt hätten, die Autorinnen als Kolleginnen zu werten) und was das Schreiben für sie bedeutet hat. Von Gothic Fiction über Pulp-Romane bis zu den neusten Strömungen der Genres zeigt das Buch ganz verschiedene Autorinnen und ihren Blick auf eine andere Realität.

Nicht nur für eingefleischte Horror-Fans gibt es in diesem Buch vieles zu entdecken. Anderson und Kröger gelingt es, die Phantastik aus der Trivial-Ecke zu ziehen und in das Licht zu stellen, das ihr gebührt – als Spiegel einer Welt, die nicht nur für Frauen weit Gruseligeres zu bieten hat als schlurfende Schritte auf dem Dachboden.

Lisa Kröger und Melanie R. Anderson: Monster, She Wrote.
Quirk Books 2019, 319 Seiten.

978-1-68369-138-9

* Und zwar von jemandem, der schon vor Jahren über Bord gegangen und ertrunken ist. Aber das werdet ihr euch schon gedacht haben, so neu ist die Story nicht.


3 Antworten zu „Phantastische Gestalten – „Monster, She Wrote“ von Lisa Kröger und Melanie R. Anderson”.

  1. Avatar von Barbara H. Imruck

    Guten Abend –
    so ein toller Beitrag. Mir geht es ganz genauso wie Dir und ich muss Gruseliges lesen, obwohl ich ein großer „Feldhase“ bin (irgendwann hatte ich mich mal versprochen und seitdem heißt bei uns der Angsthase Feldhase).

    Wie schade, dass das Buch auf Englisch ist. Ist es denn sehr leicht zu lesen?

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Danke dir! Das mit dem Feldhasen ist wirklich schön. Und gar nicht so unpassend.
      Ich fand es gar nicht schwer zu lesen, zumal die Texte ja recht kurz sind und wenig wirklich Überraschendes beinhalten. Bei Biographischem kommt es auf die sprachlichen Details ja auch nicht so an.
      Allerdings sind schon einige Autorinnen dabei, deren Werke nie übersetzt worden sind oder von denen es nur wenige Texte in Übersetzung gibt. Da kommt man dann wirklich nur mit Englisch weiter.

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  2. […] stellt uns auf Schiefgelesen das Sachbuch „Monster, She Wrote“ vor. Darin widmen sich Lisa Kröger und Melanie R. Anderson mehr als 50 Autorinnen der Phantastik, […]

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