Wer sind die Kleinen hinter den Großen? Diese Frage stellte auch schon Brecht in „Fragen eines lesenden Arbeiters“, mit viel weniger Ernsthaftigkeit jetzt aber auch Adrian Bliss in The Greatest Nobodies of History. Dort erfährt man mehr über das Frettchen, das in „Die Dame mit dem Hermelin“ verewigt wurde oder über einen Gesandten des Papstes, der in Straßburg Denkwürdiges erlebt.

Adrian Bliss ist, aber das soll hier nur eine untergeordnete Rolle spielen, ein wirklich hervorragender Fotograf, wie er auf seinem Instagram-Account adrianbliss2 unter Beweis stellt. Ungleich bekannter ist er vermutlich unter adrianbliss, dem Account, auf dem er bevorzugt als leicht quengeliger Underdog auftritt, als beleidigter Dinosaurier, der von Noah stehengelassen wurde, als unglückliches Herz, als erfolgloses Spermium. Kein Niemand ist zu unbedeutend für Adrian Bliss.
In seinem Buch berichtet er nun mit ganz viel künstlerischer Freiheit über einige Charaktere, die mehr oder minder bekannt sind, aber kaum die Würdigung erfahren, die sie verdient haben. Zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung. Unter anderem kommt eine Eiche zu Wort, in der sich einst ein König versteckte, die Pest persönlich und ein egomanisches Frettchen, das in einem Gemälde von Michelangelo für die Nachwelt erhalten geblieben ist. Adrian Bliss verleiht ihnen eine einzigartige Stimme, und lässt sie, mal ganz bescheiden, mal ungeheuer überheblich, ihre Sicht der Dinge schildern. Jedem Kapitel hintenangestellt ist immerhin eine kurze Zusammenfassung davon, wie die Dinge wirklich waren – das entspricht nämlich längst nicht immer der Perspektive der Underdogs.
The past is overflowing with embellished tales, subtle propaganda, outright lies, vicious rumours, harmless exaggerations, misheard anecdotes and people just getting things wrong.
S. ix
Adrian Bliss nutzt sehr unterschiedliche Formen, um die Geschichten der Nobodies zu erzählen. Vom Interview bis zum Frontbericht ist alles dabei und in den meisten Fällen gelingt es ihm, den nöligen Charme zu transportieren, der den Charakteren in seinen Videos eigen ist und mit dem er sich eine Fangemeinde aufgebaut hat, die nun hoffentlich auch sein Buch kaufen soll. Bücher von mehr oder weniger großen Influencern sind ja immer so eine Sache, aber in diesem Fall liefert das Buch einen tatsächlichen Mehrwert, auch wenn (oder gerade weil?) die Recherche-Arbeit jemand anders geleistet hat. Nicht immer historisch korrekt, aber smart, witzig, manchmal tragisch und ganz oft liebenswert führt Adrian Bliss durch einige Episoden der Geschichte, von denen man vielleicht noch nie gehört hat und auf die man danach auf jeden Fall einen neuen Blick hat.
Meine persönlichen Favoriten waren die Geschichten einer „Tanzwut„, die sich im 16. Jahrhundert in Straßburg ereignet hat und der Emu-Krieg, den Australien zunächst ohne Erfolg gegen eine Übermacht flugunfähiger Vögel geführt hat. Und wo wir gerade bei flugunfähigen Vögeln – auch der beste Freund des letzten Dodos darf in The Greatest Nobodies of History noch von der gemeinsamen Zeit erzählen.


