Wie schwer ist ein leichtes Leben wirklich? Isa und Gala, Freundinnen seit eigentlich schon immer, setzen es sich in den Kopf, es gemeinsam in New York zu etwas zu bringen. Die Stadt hat nun nicht gerade auf sie gewartet, dennoch gelingt es den beiden mit einzigartigem Charme und Unverfrorenheit zumindest über Wasser zu bleiben. Doch einfach ist das nicht und zwischen immer obskurer werdenden Jobangeboten und ständiger Geldknappheit wird das gemeinsame Abenteuer zu einer echten Belastung.

Mit Anfang zwanzig setzt Isa es sich in den Kopf, mindestens den Sommer in New York zu verbringen. Ein Arbeitsvisum hat sie nicht und auch sonst keine richtige Aufenthaltserlaubnis, aber das kümmert sie wenig. Zusammen mit Gala, mit der sie seit Kindertagen befreundet ist, will und wird sie sich schon irgendwie durchschlagen. Fast das gesamte Reisegepäck der beiden besteht aus Kleidern, die sie zum Großhandelspreis eingekauft haben und nun auf den Märkten der Stadt mit ordentlichem Gewinn weiterverkaufen wollen.

Außerdem sind die beiden sehr gut darin, sich aushalten zu lassen und flexibel einsetzbar als Komparsinnen, Akt-Modelle und Fuß-Models und bekommen gelegentlich Aufträge als Animier-Damen. Ihre Ansprüche sind niedrig, das trifft sich gut in ihrer Lebenslage. Sie essen wenig, und dann bevorzugt Pizza, weil sie günstig ist. Mit etwas Glück können sie bei einer Party beim Buffet was abgreifen, mit etwas Pech können sie am Monatsende nicht mehr die Miete zahlen für das winzige Zimmer, das sie zu zweit mieten, und das auch noch zu einem völlig überzogenen Preis, wie sie bald merken. Alternativ schlafen sie auch in irgendwelchen anderen Betten.

Isa liebt Glamour, daraus macht sie nie einen Hehl. Sie hat Freude am großen Auftritt, an der Aufmerksamkeit, am Verführen und Fallenlassen. Während alle um sie herum „so etwas“ wie Models, Künstler, Autorinnen und angehende Schauspielerinnen sind, ist sie nichts dergleichen. Sie ist in der Stadt, in der sie sein will, sie brät auf dem heißen Flachdach in der Sonne, tanzt die ganze Nacht, findet neue Freunde und verliert fast die Freundschaft zu Gala. Denn bei aller Leichtigkeit – die permanent prekäre Finanzsituation belastet dann doch das enge Band der Freundschaft, das die beiden in einer pekuniären Schicksalsgemeinschaft aneinander bindet.

„Dass ich meine Vorstellungen von der Zukunft auf den kleinsten Wink hin ändern kann, betrachte ich als einer meiner größten Stärken. In meiner Zukunft hat alles Platz.“

S. 273

Aber bei allen Schwierigkeiten muss die Fassade nach außen hin stimmen. Isa und Gala leben von ihrem Charme, ihrer Leichtigkeit, ihrer Unbekümmertheit. Nur deshalb werden sie zu Partys und zum Essen eingeladen, es ist ihre Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Schönen und Basis für die Hoffnung, dass sich die Tür einmal so weit öffnet, dass man doch mal wirklich einen Fuß rein bekommt. Jammernde Mädchen, die ihre Miete nicht zahlen können und unfreiwillig Intervallfasten betreiben kann man hier nicht brauchen.

Nur an einem Tag im Jahr erlaubt Isa sich eine Pause vom ewigen Frohsinn. Am Todestag ihrer Mutter zieht sie sich zurück und lässt einmal zu, dass sie Trauer empfindet und Überforderung, dass sie sich Vorwürfe macht, ihre Mutter in ihrer Krankheit nicht genug unterstützt zu haben.

Der Vergleich mit der ikonischen Holly Golightly und ihrem Traum von New York drängt sich geradezu auf. Im Grunde ist ihr Verhalten unverschämt, aber niemand ist ihr wirklich jemals böse, weil sie auch so wahnsinnig charmant ist. Das weiß sie natürlich selbst am besten und handelt dementsprechend. Oder auch mal nicht. Für Rassismus und Kommentare über ihr „exotisches“ Aussehen hat Isa überhaupt keine Geduld und unterbindet diese ebenso unmissverständlich wie jedes Verhalten von anderen, von dem sie glaubt, dass es ihr schaden wird. Außer bei einer unglücklichen On-Off-Liebschaft, aus der sie sich einfach nicht so recht befreien kann.

Ein modernes Breakfast at Tiffanys ist Happy Hour aber trotzdem nicht, eher ein Verweis darauf, dass New York immer voll war und immer noch voll ist mit jungen Frauen, die mit nichts als Hoffnung und großen Augen in der Stadt aufschlagen und in den Häuserschluchten ihre Träume verwirklichen wollen. So platt das vielleicht klingen mag, Happy Hour ist es gar nicht. So harmlos und glatt Isa sich der Welt zeigt, so reflektiert ist sie im Privaten, als treue Freundin, trauernde Tochter und unglücklich Verliebte. Und nicht zuletzt auch als Autorin, denn was man hier lesen kann ist, glaubt man der Geschichte, nicht weniger als Isas höchst persönliches und sehr lesenswertes Tagebuch.

Marlowe Granados: Happy Hour.
Hanser 2024, 304 Seiten.
Aus dem Englischen von Stefanie Ochel.

978-3-446-27949-0


4 Antworten zu „Isa Golightly – „Happy Hour“ von Marlowe Granados”.

  1. Avatar von oschlenkert

    klingt gut. Fast wie im deutschen Reality TV. Immer die gleichen Gesichter, der gleiche aufgesetzte Frohsinn. Bin gespannt.

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Das stimmt, daran erinnert es. Aber ich finde, Reality TV ist viel krawalliger und viel mehr darauf ausgelegt, die Leute „auszustellen“ und im Zweifel bloßzustellen. Das macht die Autorin hier gar nicht. Sie ist sehr vorsichtig mit ihrer Protagonistin, fast wie Capote mit Holly Golightly, das hat mich auch so sehr daran erinnert. Ich finde es ja immer ein bisschen müßig, nach der Autobiografie im Roman zu suchen, aber ich bin mir relativ sicher, dass viel Marlowe Granados in Isa steckt – oder umgekehrt.

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  2. Avatar von soerenheim

    Hurra, du schreibst ja noch 😀

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    1. Avatar von schiefgelesen

      Fast eher ein wieder als ein noch. Aber Hauptsache: ja! 😃

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