An einem flirrend heißen Sommertag kehr Jirka zurück nach Hause, auf den Hof der Eltern. Doch dort erwartet ihn weder Landidylle noch eine ihn liebende Familie. Jirkas Jugend war, ebenso wie die seiner Schwester, geprägt von Kälte und Gewalt. Statt familiärer Geborgenheit erwartet ihn dort die Auseinandersetzung mit schrecklichen Erinnerungen und seinem Umgang mit der Vergangenheit.

Wie soll man gerade wachsen, wenn in der Kindheit ein Sturm nach dem anderen über einen hinweg zieht? Jirka zumindest ist es nicht gelungen. Er und seine Schwester Malene wachsen auf einem einst prächtigen Herrenhof auf, der aber mit jedem Jahr mehr Glanz verliert und die Familie, die auf ihm lebt, gleich mit. Die Mutter der beiden wird wegen einer psychischen Erkrankung in die „Heila“ eingeliefert, in die örtliche Heilanstalt, die ebenso Teil des Dorfbildes ist, wie sie eine eigene Welt bildet. Die Mutter wird sie nicht mehr verlassen. Als Siebenjähriger steht Jirka an ihrem Grab. Sie sei einfach eine schwache Frau gewesen, so das lapidare Urteil ihrer Schwiegermutter Agnes.

Jirka und Malene bleiben beim Vater, der seine Aggressionen immer weniger unter Kontrolle hat. Seine Frustration über alles, was nicht gelingt, lässt er an den Kindern aus. Auch die herrische Oma Agnes ist alles andere als ein Mutterersatz. Jirka jedenfalls ist froh, als er mit vierzehn Jahren den Hof verlassen kann, um ins Internat zu gehen. Malene bleibt zurück. Sie will den Hof übernehmen, auch wenn der Vater das einem Mädchen natürlich nicht zutraut. Lieber will er verkaufen.

Lange Zeit kehrt Jirka nicht zurück, so oft ihn Malene auch darum bittet. Zu groß sind die Wunden, die nicht nur der Vater hinterlassen hat, zu stark ist die Angst vor dem, was ihn erwartet. Erst nach fünf Jahren setzt er sich in den Zug, um die Familie zu besuchen, ohne Absprache und ohne Ankündigung. Oma Agnes ist in der Zwischenzeit dement geworden, ein zerbrechliches Persönchen statt der gefürchteten Matriarchin erwartet Jirka. Der Vater ist nicht da und kommt auch am Abend nicht zurück. Seine Abwesenheit begründet Malene nicht und spricht auch sonst kaum mit ihrem Bruder. Er sei zu spät gekommen, sagt sie nur, und dass man eine weitere Person nicht auch noch durchfüttern könne. Nur Leander, der Sohn des alten Verwalters, der auf dem Hof geblieben ist, bemüht sich zumindest ein bisschen um Jirka und erzählt ihm ein bisschen von dem, was in seiner Abwesenheit passiert ist.

„Stundenland sitze ich bei geschlossenen Türen in meinem Kleiderschrank und kämpfe. Gegen die Tränen. Und auch gegen die Wut. Gegen die Lücke in meiner Mitte, durch es pfeift und zieht, als würde tiefster Winter und nicht der sommermüde Juliabend gegen die Fenster drücken.“

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Jirka bleibt trotzig und auf dem Hof. Er findet, dieser Ort sei auch seine Heimat. Er sieht sich konfrontiert mit Orten, Erinnerungsstücken und Gerüchen, die er über die Jahre verdrängt hat. In seiner Isolation bleibt ihm nicht viel übrig, als sich damit auseinanderzusetzen. Nach und nach, erzählt in verschiedenen Episoden und Rückblenden, entsteht das Bild seiner Jugend, das geprägt war von Gewalt, Ablehnung und einem Missbrauch, der ihn nicht loslässt. Das Haus seiner Kindheit ist für ihn kein Ort von Geborgenheit und glücklicher Erinnerung, sondern vor allem eine Herausforderung, der er sich stellen muss, wenn er wieder zumindest zarte Bande mit seiner Schwester knüpfen will. Sie kann ihm nicht verzeihen, dass er sie mit alldem allein gelassen hat, dass er nicht gekommen ist, als sie ihn gebeten hat, um dann plötzlich vor der Tür zu stehen.

Davon erzählt Julja Linhof in einer klaren, prägnanten Sprache und bei aller Brutalität doch mit Feingefühl. Es gelingt ihr, die Atmosphäre des Hofs einzufangen, die staubige Hitze des Sommers, die mühsamen und sorgenvollen Tage der Erntezeit und die komplexe Beziehung zwischen den Geschwistern. Jirkas Jugend war von Gewalt, Verlust und Vertrauensbrüchen geprägt und es gelingt ihm nur ganz langsam, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen. Krumm gewachsen ist er nun eben, zumindest innerlich, und wie Kant es in dem Zitat feststellt, das dem Roman vorangestellt ist: „Aus so krummen Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Jirka aber kann es schaffen, sich aufzurichten, so krumm die Basis auch sein mag, das zumindest will und hofft er. Er scheint auf einem guten Weg zu sein.

Julja Linhof: Krummes Holz
Klett-Cotta 2024, 271 Seiten
978-3-608-96609-1


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