Engmaschiges Rätselraten – „Die leuchtende Reuse“ von Christopher Ecker

Mit Die leuchtende Reuse ist in diesem Jahr Christopher Eckers Debütroman von 1997 in einer überarbeiteten Fassung neu aufgelegt worden. Irgendwo zwischen Kriminalroman, Kriegsabenteuer und Phantastik wird hier die Geschichte eines spurlos verschwundenen Patienten erzählt. Oder doch etwas ganz anderes?

Als Josef Gripke, Lehrer im Vorruhestand, einfach nur seinen alten Freund Richard van Aaken im Krankenhaus besuchen will, herrscht unerwartete Aufregung. Van Aakens Zimmernachbar S. Rescher ist über Nacht verschwunden. Dabei war er fixiert! Keine Spur ist mehr von ihm zu finden, die noch verknotete Fixierung baumelt vom Bett, nur ein Buch des Horrorautors Arthur Machen ist auf dem Nachtschrank zurückgeblieben. Aber hat Rescher das überhaupt gelesen?

Gripke hat gerade nicht viel zu tun. Seine Frau weilt in Kur, den Spaß am Lesen hat er schon lange verloren, Freunde hat er kaum und die Zeitschrift Ratewelt bietet auch nur begrenzte Unterhaltung. Da könnte er doch, findet zumindest van Aaken, mal detektivisch tätig werden und herausfinden, was es mit diesem geheimnisvollen S. Rescher und seinem Verschwinden auf sich hat. Nur wenig später steht Gripke in einer „üblen Gegend“ der Stadt einer freundlichen und auskunftsbereiten Frau Rescher gegenüber und stürzt sich damit kopfüber in ein aufrecht stehendes Labyrinth, in dem er sich schon bald gar nicht mehr zurechtfindet.

Und wer die Geschichte liest, muss wohl oder übel hinterher in dieses Gewusel aus raschen Wendungen, unerwarteten Sackgassen und plötzlichen Abgründen. Glücklich, wer sich da nicht mehr als das Knie verletzt! In mehr als hundert kurzen Kapiteln kommt Gripke einem geheimen Manöver auf die Spur, das 1942 unter Rommel in der nordafrikanischen Wüste stattgefunden hat, und dessen Mitglieder auf geheimnisvolle Art verschwunden sind, nur um Jahre später wieder aufzutauchen als sei nichts gewesen. Doch nun scheinen sie sich wieder in Luft aufzulösen, nachdem sie geheimnisvolle Drohbriefe erhalten haben. Für Gripke beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Kann er die Informanten finden, bevor sie erneut verschwinden?

„Zufälle, keine Zusammenhänge, da tat man monatelang nichts, faulenzte, und dann streckte das erste ungewöhnliche Ereignis die schlaffe Psyche mit einem Faustschlag nieder.“

– S. 117

Nebenbei muss er auch noch das Geheimnis um eine gefälschte Geschichte von Arthur Machen lösen, seiner Frau gegenüber so tun, als sei alles in Ordnung und dem stupiden Nachbarsjungen Sebastian schlechte Witze erzählen. Selbstverständlich erwartet auch van Aaken regelmäßigen Rapport am Krankenbett, was stets ein zeitraubendes und forderndes Unterfangen ist. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass Gripke selbst zum Spielball einer Geheimoperation geworden ist und jemand im Hintergrund geschickt alle Fäden zieht.

Was als ganz klassische Locked Room-Geschichte beginnt, wird schnell ein abgedrehtes Abenteuer voller Anspielungen und Verweise auf Literatur und Musik, Hoch- wie Popkultur, bei dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und zwischen Lüge und Wahrheit verschwimmen. Vieles von dem, was man später in Eckers Werken findet, ist auch schon in seinem Debüt angelegt, vor allem aber seine Fähigkeit, einen listig hinters Licht zu führen. Es ist fast egal, wie man aufmerksam man seine Bücher liest, irgendeine Finte verpasst man doch. Man kriegt auch hier schon, was man bis heute von Ecker eigentlich immer erwarten darf: Großartige, hintersinnige Unterhaltung auf wirklich hohem Niveau.


Christopher Ecker: Die leuchtende Reuse.
Mitteldeutscher Verlag 2025, 307 Seiten.

978-3-96311-979-8

Überarbeitete Neuausgabe der ersten Ausgabe von 1997 (Konrad Kirsch Verlag).


Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt, wofür ich herzlich danke. Es waren keine Bedingungen daran geknüpft und es hat meine Meinung oder Berichterstattung darüber nicht beeinflusst.


2 Antworten zu „Engmaschiges Rätselraten – „Die leuchtende Reuse“ von Christopher Ecker”.

  1. Avatar von eimaeckel

    Hm, ich mag ja
    Geschichten, in den ältere Männer aus ihrem gewohnten Trott geworfen werden. Aber in welcher Zeit spielt die Geschichte denn? 2025 sollen sich Überlebende von Rommels Truppe von selbst aufgelöst haben.

    Like

    1. Avatar von schiefgelesen

      Darüber bin ich zuerst auch gestolpert, bis mir Festnetzanschlüsse und Zigaretten im Büro den Hinweis gaben, dass wir in einer ganz anderen Zeit sind.
      Tatsächlich ist es die überarbeitete Version des Debüts von 1997 und ich würde sagen, kurz davor spielt der Roman auch.

      Gefällt 1 Person

Was sagst du dazu?