Die Lyrikerin Kathrin Bach hat mit Lebensversicherung ihren ersten Roman geschrieben und ist damit direkt auf der Longlist des Buchpreises gelandet. Sie erzählt darin auf sehr originelle Art von einer Frau, deren Eltern Versicherungen verkaufen und ihr damit vor allem beibringen, dass es wirkliche Sicherheit nicht gibt.

Die Erzählerin von Lebensversicherung ist 34 Jahre alt und hat Angst. Dabei stammt sie aus einer Familie, die den Menschen genau das nehmen sollte. Seit Jahrzehnten betreibt ihre Familie eine Versicherungsagentur in einem Dorf irgendwo in Hessen. Das ganze Dorf geht zu der Familie um sich absichern zu lassen. Gegen Brand, Autounfälle, Gebäudeschäden, Berufsunfähigkeit, Unfälle, Diebstahl, den Verlust von Hausrat und alles andere, wogegen man sich eben so versichern kann. Die Erzählerin aber weiß, dass man sich gegen all das überhaupt nicht versichern kann, dass es trotzdem brennt und man Unfälle hat, dass es nur eine Aussicht auf Schadensregulierung gibt und man auch die oft genug erstreiten muss. Das reicht ihr nicht als Sicherheit, vielmehr macht ihr die ständige Konfrontation mit den Unwägbarkeiten des Lebens Angst.
Außer vor Krankenhäusern, Verletzungen und dem Tod fürchtet die Erzählerin sich vor allem davor, sich ständig übergeben zu müssen. Ihr wird schnell schlecht, vor allem bei Autofahrten. Auf Partys geht sie nicht mehr, seit sie mal auf einer war und zu viel gekotzt wurde. Die Angst davor ist so groß, dass sie über Jahre immer eine Plastiktüte mit sich herumträgt, als materielle Versicherung gegen große Katastrophen. Übergeben muss sie sich trotzdem.
Das Dorf, in dem die Erzählerin aufwächst, ist wie so viele geteilt in den alten Teil und ein Neubaugebiet. In letzterem wächst sie auf, mit dem Wohnbereich der Familie oben im Haus und dem Versicherungsbüro unten im Haus und einem Schild, das vor dem Haus steht und stolz den Namen ihres Vaters und ihrer Mutter zeigt, die beide ausgewiesene Expertise im Gebiet der Versicherung haben und schon mehrfach Auszeichnungen der Bezirksdirektion bekommen haben.
Ins Freibad gehen die Eltern nicht, weil sie dort kaum vom Handtuch zum Becken laufen können, ohne dass jemand fragt, wie weit es mit seiner Schadensregulierung ist und ob man nicht eine Police mal anpassen könne. Die Familie weiß genau, wer sein Auto zu Schrott gefahren hat, die Mutter besucht Verletzte im Krankenhaus, um über Unfallhergänge zu sprechen und wenn jemand stirbt, dann kennt die Familie den Grund. Zur Beerdigung gehen sie natürlich auch.
„Ich habe eine Haftpflichtversicherung, eine Hausratversicherung, eine private Krankenzusatzversicherung mit Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer im Krankenhaus, eine Berufsunfähigkeitsversicherung und eine Reisekrankenversicherung. Eine Unfallversicherung, eine Zahnzusatzversicherung, eine freiwillige Arbeitslosenversicherung und eine Lebensversicherung.“
– S. 8
In der gegenwärtigen Zeitebene berichtet die Erzählerin von ihrem Leben in Berlin und von Terminen, die jeden Donnerstag um 09:30 Uhr stattfinden und bei denen es sich offensichtlich um eine Therapie-Sitzung handelt. Die immerhin deckt ihre Krankenversicherung ab. Die übrigen Versicherungen, die sie hat, und es sind einige, tun nichts gegen ihre Angst.
Die Protagonistin erzählt von ihrem Aufwachsen in kleinen Episoden, die oft kaum mehr als eine halbe Seite umfassen. Man erfährt von Oma F und Opa F, von Oma G und Opa O und davon, wie sie gestorben sind. Man erfährt von ihrem Onkel und davon, dass es keine Versicherung dagegen gibt, alleine zu sterben. Die Geschichte wird in Schnipseln erzählt, nicht chronologisch sondern eher thematisch sortiert und durchsetzt von Kapiteln, die einer Versicherungsbroschüre entstammen. In nüchternem Ton wird hier geschildert, wogegen man sich versichern kann und was es einem bringt. Oder eben nicht. Kathrin Bach hat mit Lebensversicherung ihren ersten Roman geschrieben. Bisher war sie vor allem Lyrikerin, was man dem Text auch anmerkt. Viele der Kapitel sind als Aufzählungen oder Listen gestaltet, in denen die Erzählerin beispielsweise auflistet, wovon sie sich in der Vergangenheit übergeben musste oder auf welchen Beerdigungen sie schon war.
Kathrin Bach erzählt mit viel Humor von einer in ihrem Kern wirklich trockenen Materie. Die ungewöhnliche Form des Erzählten fügt sich wunderbar zusammen und es gelingt der Autorin, in vielen Miniaturen ein komplexes Bild vom Aufwachsen in der hessischen Provinz zu schaffen und von der Angst, die so viele Menschen umtreibt und gegen die auch die beste Versicherung nicht hilft.


