Rachel führt ein beschauliches Leben als Grundschullehrerin und Gesellschafterin ihrer Mutter. Die Frage, ob sie damit zufrieden ist, stellt sich ihr eigentlich gar nicht. So lebt sie eben – bis zu den Sommerferien, die das ändern werden.

Rachel ist ein vernünftiger Mensch. Sie arbeitet als Lehrerin in der kanadischen Kleinstadt Manawaka, in der sie aufgewachsen ist, wohnt noch bei ihrer Mutter in der Wohnung über dem Bestattungsinstitut das einst ihrem Vater gehörte und richtet die Schnittchen für die monatliche Bridge-Runde ihrer Mutter. Die Sommerferien bedeuten ihr wenig, denn außer Arbeit hat sie wenig zu tun und was soll man auch tun in der Kleinstadt.
Ihr einziger Sozialkontakt und damit auch eigentlich schon engste Freundin ist ihre Kollegin Calla, doch seit die sich langsam in einen religiösen Wahn steigert, Rachel dauernd bittet mit ihr in die Kirche zu kommen und unbedingt die Gabe der Zungensprache erfahren will, hat sie auf sie auch nicht mehr so richtig Lust. Ein Glück, dass sie gleich zu der Beginn der Ferien Jack trifft. Auch er stammt aus Manawaka, arbeitet jetzt aber „in der Stadt“, was in Manawaka immer Winnipeg bedeutet. Aus dem Jungen, mit dem Rachel kaum etwas zu tun hatte, ist ein braungebrannter und in Rachels Augen unfassbar attraktiver Mann geworden. Vor allem ist er ein Mann geworden, der sich für Rachel interessiert und sie zum Kaffee und ins Kino einlädt und so etwas hat sie noch nicht erlebt in Manawakas Dating-Pool, der mehr ein Planschbecken ist.
Rachel ist wie gesagt vernünftig und vernünftig genug um zu wissen, dass Nick nicht ihr Ritter ist, der sie am Ende des Sommers auf dem Rücken seines Pferdes nach Winnipeg führen wird. Sie ist aber auch vernünftig genug, um sich trotzdem Hals über Kopf in eine Affäre zu stürzen, deren Ende schon sicher ist und diese Chance zu nutzen, das erste Mal in ihrem Leben im Dunkeln ihren Kopf an eine Schulter zu lehnen und Sex am Ufer des Flusses zu haben. Nick vertraut darauf, dass Rachel weiß, wie man eine Schwangerschaft verhindert, weil Frauen so etwas nun einmal wissen und Rachel hat keine Ahnung, weil das kein Thema ist, das in ihrem Leben bisher eine Rolle gespielt hat. Sie muss nur wissen, welche Medikamente ihre kratzbürstige Mutter wann nehmen muss.
„Ferien sind eigentlich nur in der ersten Woche attraktiv. Danach ist es keine große Neuheit mehr, spät aufzustehen und wenig zu tun zu haben.“
– S. 88
Man kennt das Setup dieser Art von Geschichten und man weiß, wo es meistens endet: Mit dem Fall der naiven Frau, die unvorsichtig genug war, sich auf den geheimnisvollen Mann einzulassen, die hätte klüger sein müssen und am Ende eben selbst sehen muss, was sie macht, wenn der Mann wieder weg, das Kind aber irgendwie da ist. Dieses Schicksal allerdings erspart Laurence ihrer Protagonistin. Rachel fügt sich nicht in die Rolle der ausgenutzten Frau, sondern verwandelt ihre Sommeraffäre in ihren Emanzipations-Moment. Dabei ist diese Beziehung gar nicht die wichtigste in Rachels Leben. Mindestens ebenso viel Raum widmet Laurence den komplizierten Beziehungen zwischen Müttern, Töchtern, Freundinnen und der emotionalen Gemengelage am Arbeitsplatz.
Eine Laune Gottes erschien das erste Mal in den 1960er Jahren und man merkt dem Roman sein Alter an. Er ist aber durchaus gut gealtert und überzeugt mit nostalgischem Charme ohne dabei altmodisch zu wirken. Im Gegenteil – Margaret Laurence hat einen für ihre Zeit durchaus progressiven Roman geschrieben, der das damals wie heute vorherrschende Bild davon, wie das Glück einer Frau auszusehen hat, welche Rolle Liebe und Mutterschaft in ihrem Leben spielen sollte, in Frage stellt. Diese Fragestellung ist nicht nur in Rachels Charakter angelegt, sondern auch bei ihrer Kollegin Calla, die bei allem religiösen Eifer ein glückliches Leben ohne Mann führt, ihre Wände malve und ihre Tür fliederfarben streicht, wenn ihr der Sinn danach steht.
Laurence charakterisiert Rachel als eine ruhige, nach außen fast schlichte, aber vielschichtige Person. Die meisten Augenblicke durchlebt sie nicht nur einmal, sondern nochmal, wenn sie sich darüber ärgert, wie sie sich verhalten hat und dann immer wieder, wenn sie sich ausmalt, wie sie sich hätte verhalten können, wäre sie nur geschickter, charmanter, weltgewandter. Irgendwie hat sie sich eingerichtet in ihrem Leben in Manawaka, in ihrer Rolle als fürsorgliche Tochter, aber langsam beginnt sie sich doch zu fragen, was sie noch sein könnte und ob sie das nicht auch woanders sein könnte.
Eine Laune Gottes ist eine so kurzweilige wie für ihre Zeit ungewöhnliche Geschichte über die Anstrengungen, die jede Form von Beziehung mit sich bringt, und über ein paar Wochen, die ausreichen, um ein Leben zu ändern.


