Punjabi, Sikh, Tochter, Enkelin, einziges Mädchen in der Fußballmannschaft, Schülerin einer christlichen Privatschule – Pin muss ganz schön viel unter einen Hut kriegen. Das gelingt ihr aber eigentlich ganz gut, bis plötzlich ihre Großmutter einen viel zu großen Platz in ihrem Leben (und ihrem Kinderzimmer) einnimmt und ein lange verschwiegenes Familiengeheimnis mit aller Kraft an die Oberfläche drängt.

Sie solle auf keinen Fall so werden wie sie, das ist der wichtigste Rat von Jini an ihre Tochter Parveen, genannt Pin. Pin versteht nicht, warum und niemand will es ihr sagen. Sie findet ihre Mutter wundervoll, sie liebt ihr Essen, sie geht nur nicht gerne mit ihr auf den hektischen, wuseligen Markt in ihrer Heimatstadt Singapur um ihr mit den tausend Tüten zu helfen, deren Inhalt zu Hause den Kühlschrank überquellen lässt.
Pin ist Punjabi, erst ihre Großeltern sind nach Singapur eingewandert. Auf der Straße fällt sie auf mit ihrer dunklen Haut und in der christlichen Privatschule, die sie nur als Stipendiatin besuchen kann, fällt sie auf, weil sie Sikh ist. Wenn die christlichen Mädchen beten, muss sie die Kapelle verlassen. Ihre beste Freundin an der Schule ist Muslima, die ihre Socken immer so hoch zieht, dass man keinen Zentimeter ihrer Haut sehen kann und natürlich auch woanders beten muss.
Trost und Frieden findet sie zu Hause, bei ihrem Vater, mit dem sie so gerne Lotterie-Lose kauft und heimlich auf den großen Gewinn hofft und bei ihrer Mutter, deren Stimmung sie an dem ablesen kann, was sie gerade kocht. Chili ist Wut, Huhn in Sojasauce bedeutet gute Laune. Jini findet im Kochen einen Ausdruck ihrer Emotionen und eine Distanz zu der eintönigen Küche, mit der sie aufgewachsen ist und in der es vor allem Brot und Bohnen gab, was auch finanzielle Gründe hatte.
Pins Eltern sind Sikh, so wie alle in ihrer Familie, aber sie nehmen es nicht besonders ernst. Jini schneidet ihre Haare und erlaubt es auch ihrer Tochter und wann ihr Vater das letzte Mal im Tempel war, weiß schon fast niemand mehr. Das alles ändert sich jedoch, als Jinis Mutter pflegebedürftig wird und bei der kleinen Familie einzieht. Plötzlich gehört Pins Zimmer nicht mehr ihr allein, das Bild des Gurus wandert wieder aus der Abstellkammer an die Wand des Wohnzimmers und das Tragen unsittlicher Shorts gehört der Vergangenheit an. Die schon immer angespannte Situation zwischen Jini und ihrer Mutter droht zu eskalieren, aber in der Eskalation liegt auch die Hoffnung, dass endlich auf den Tisch kommt, was passiert ist, warum Pin nicht werden soll wie ihre Mutter.
Balli Kaur Jaswal erzählt die Geschichte einer Familie, die schwer durch ihre Vergangenheit und auch ihre aktuelle Situation belastet wird. Die Familie gehört einer Minderheit an und ist alltäglichem Rassismus ausgesetzt. Pins Eltern scheinen sich irgendwie damit abgefunden zu haben, aber die Emotionen des Mädchens kochen jedes Mal über, wenn der Schulbusbegleiter eine abfällige Bemerkung über ihre Hautfarbe macht oder Mitschülerinnen Witze über Inder reißen. Aber auch innerhalb der eigenen Gemeinde gibt es Anfeindungen gegen alle, die gegen die strikten Regeln der Religion verstoßen, ob willentlich oder nicht, ob wirklich oder nur Gerüchten zufolge. Wer einmal aus der Reihe getanzt ist, kommt auch nicht wieder rein. Krankheiten und Behinderungen gelten als verdiente Strafe Gottes.
Pins Eltern versuchen, ihr möglichst viel davon zu ersparen und sie in größtmöglicher Freiheit aufwachsen zu lassen, aber ihre Mittel sind begrenzt. Immerhin kann Pin dank eines Stipendiums eine höhere Bildung und später vielleicht einen besseren Beruf erlangen. Ihr Vater übernimmt im Hotel dankbar die besser bezahlten Nachtschichten, schläft den ganzen Tag und hat nur wenig Zeit für „seine beiden Damen“, die er doch so gerne glücklich sehen will. Bei Pin zumindest gelingt es ihm. Auch, wenn er ihr nur Kleinigkeiten schenken kann, schätzt sie seine Aufmerksamkeit und die gemeinsam verbrachte Zeit sehr.
Zuckerbrot erzählt eine weitere Variante der tolstoischen Weisheit, dass jede Familie auf ihre eigene Art unglücklich ist. Die Autorin findet dafür einen Hintergrund, der zumindest auf dem europäischen Literaturmarkt Seltenheitswert hat und eine umso interessantere und authentische Perspektive bietet. Die Handlung des Romans erstreckt sich über ein Jahr, in dem Pin sich selbst und die Beziehung zu ihren Eltern deutlich entwickelt. Balli Kaur Jaswal erschafft liebenswerte und glaubhafte Charaktere und erzählt von ihnen in einem sehr charmanten und unterhaltsamen Roman.


