Content-Warnung: Der Roman und dieser Text handelt von Grooming und vielem, was in einer Liebesbeziehung nicht passieren sollte.

Mit 14 Jahren lernt Milena Nick kennen und ist wahnsinnig beeindruckt von dem 20 Jahre älteren Mann, der nur Augen für sie zu haben scheint. Mit 20 Jahren schafft Milena es endlich, sich aus einer Beziehung zu befreien, die man beim besten Willen nur als Bilderbuch-Fall von Grooming bezeichnen kann.
Milena ist 14 als sie den bedeutend älteren Nick kennenlernt. Er arbeitet als Jugendbetreuer in der Kirchengemeinde, deren Teil sie ist. Alle finden ihn cool, er spielt so toll Gitarre, organisiert so lustige Ausflüge, alle mögen ihn, aber er hat nur Augen für Milena, die er mit Zuneigung überschüttet. Das glaubt zumindest Milena. Sie treffen sich heimlich, seine Frau darf von der Beziehung natürlich nicht wissen. Niemand darf von der Beziehung wissen. Sie küssen sich auf Rückbänken und haben Sex wo immer es gerade geht. Milena will nichts anderes als in seiner Nähe sein, seine Bestätigung erfahren, ihm gefallen.
Er nennt sie seine kleine Mili und kann immer gut erklären, warum er sich jetzt gerade beim besten Willen nicht von seiner Frau trennen kann, obwohl sie ein wirklich furchtbarer Mensch ist. Die Affären mit anderen Mädchen kann er weniger gut erklären. Dass er allen seinen Freundinnen das gleiche Parfüm schenkt, macht es nicht eben schwer, seine Duftmarken durch die halbe Kirchengemeinde zu verfolgen. Milena weiß, dass er sie betrügt, aber findet immer gute Gründe, sich nicht von ihm zu trennen. Nick überzeugt sie, dass ihre Eifersucht unbegründet ist, dass es für sein Verhalten immer gute Gründe gibt. Immer wieder schafft Nick es, ihr einzureden, dass sie seine einzige große Liebe ist. Dass es eine Zukunft für sie geben wird. Aber leider muss er sie verlassen, wenn sie nicht mit ihm in Swingerclubs geht, denn das braucht er einfach in seinem Leben. Leider muss er sie verlassen, wenn sie nicht in räudigen Ferienwohnungen Sex mit anderen Männern hat. Das gehört einfach zu ihm, das muss sie verstehen. Seine kleine Mili. Seine kleine Mili, die keinen Abend außer Haus sein kann, ohne Rechenschaft abzulegen.
„Ich wollte alles ertragen, alles aushalten, jede Bürde schultern, die mir auferlegt wurde, damit er mich nicht verließ.“
– S. 62
Das gute am Roman ist, dass man von Anfang an weiß, dass sie nicht bei ihm bleibt. Im Sommer 2014 reist sie nach Irland um Josh zu treffen, mit dem sie seit Monaten täglichen Kontakt über das Internet hat, damit fängt die Geschichte an. Nick ist nach sechs Jahren „Beziehung“ endgültig Vergangenheit, Josh hat dazu beigetragen. Aber der Weg dahin ist hart. Vor allem hart für Milena, aber auch hart zu lesen. Sie räumt schonungslos mit ihrer Beziehung und ihrem Ende auf, verheimlicht nicht die dunklen, ekligen, angsterfüllten Momente und auch nicht, wie ambivalent ihre Gefühle bei der Trennung dennoch sind. Und schließlich konnte Nick auch nett sein und verletzlich. Zum Glück weiß man es von Anfang an und im Grunde verrät es schon der Titel – als Stärkste unter ihnen schafft Milena es irgendwann, sich aus dieser Katastrophe zu befreien.
Das andere gute am Roman ist, dass er gut geschrieben ist. Die Autorin kannte ich bisher nur vom Poetry Slam, sie kann aber auch lange Texte, das beweist sie hier mit ihrem Roman-Debüt. Der Roman hat Tempo und zieht einen mit, erzählt in kurzen Episoden von später und von früher, so dass man immer mal wieder Zeit zum Verschnaufen von dieser wirklich furchtbaren Beziehung hat, zugleich aber auch endlich wieder von Nick lesen will und davon, wie es mit den beiden weitergeht.
Leichte Lektüre ist der Roman wirklich nicht, aber dank sprachlicher Leichtigkeit und Stimmigkeit doch leicht zu lesen. Dank Nicks Verhalten entwickelt der Text sich manchmal fast zum Thriller, ist dann wieder ein bisschen Coming-of-Age und manchmal ein kleines bisschen harmlos, aber wer will Milena diese Momente der Ruhe bei der Getränke-Auswahl im Supermarkt nicht gönnen. Die Stärkste unter ihnen ist ein thematisch mutiges, bemerkenswertes und auf jeden Fall lesenswertes Debüt. Und weil es bei Kremayr & Scheriau erschienen ist, ist das Buch natürlich auch noch schön gemacht.


