Der Divan im Dornengestrüpp – „Die Dame mit der bemalten Hand“ von Christine Wunnicke

In Die Dame mit der bemalten Hand nutzt Christine Wunnicke eine reale und gut dokumentierte Forschungsreise als Hintergrund für eine Episode, die nicht in den Geschichtsbüchern auftaucht, bei der es aber schade wäre, sie bliebe unerzählt. Mit Musa al-Lahuri schafft sie einen charmanten und witzigen Freund für Carsten Niebuhr, dem man wünschen möchte, dass er tatsächlich solche Begegnungen hatte.

1761 beginnt eine Forschungsgruppe im dänischen Auftrag eine Reise in den Orient. Ideengeber ist der anerkannte Orient-Wissenschaftler Johann David Michaelis, der in Göttingen lehrt und herausfinden (lassen) will, wieviel Wahrheit in den biblischen Erzählungen steckt. Dafür muss jemand an die Originalschauplätze reisen. Michaelis selbst tut das freilich nicht, ist aber an den Vorbereitungen der Expedition beteiligt. Unter anderem erteilt er einigen der Teilnehmer qualvollen Einzelunterricht in Arabisch.

Einer davon ist Carsten Niebuhr, der damals Ende 20 ist, sein Herz an die Astronomie verloren hat und nun als Kartograph mitreisen soll. Zudem sind ein Arzt, eine Zoologe, ein Zeichner, ein Philologe und ein Diener dabei. Denn es geht nicht nur um die Bibel. Wissenschaftler aus ganz Europa haben Fragen eingereicht zu diesem mysteriösen Teil der Welt, zur Architektur, Sprache, Sitten, Pflanzen und Fliegenplagen. Eine Fliegen- oder eher Mückenplage ist es auch, die der Expedition fast ein jähes Ende setzt. Im Jahr 1763 sterben vier der Männer, an Malaria, so vermutet man. Nur Niebuhr und der Arzt Cramer schiffen noch nach Bombay ein, wo dann auch Cramer verstirbt. Soweit die Wahrheit.

Den nun ganz auf sich allein gestellten Carsten Niebuhr lässt Christine Wunnicke auf historischen Abwegen wandeln. Er unternimmt einen Ausflug auf die Insel Gharapuri, ein abgelegenes Fleckchen Erde kurz vor Mubai, wo es vor allem Gestrüpp, Ziegen und ein paar armselige Hütten gibt. Aber eben auch, so zumindest hat er gehört, ein Bildnis des König Salomo, das dort in eine Felswand gehauen sein soll. Mit irgendwas Biblischem im Gepäck will er dann doch gerne nach Hause kommen, wenn er schon sonst kaum etwas aus dem Fragenkatalog beantworten kann. Für Carsten Niebuhr hält die Insel zuallererst aber vor allem das Sumpffieber bereit, das ihn fast dahinrafft. Der zufällig ebenfalls auf der Insel weilende Astronom Musa al-Lahuri findet ihn beim Vermessen der Statur eines Elefanten-Gottes, Minuten, bevor er kreidebleich zusammensackt. Musa sorgt dafür, dass Niebuhr versorgt und untergebracht wird, obwohl er sein Verhalten höchst merkwürdig findet. Aber so sind sie eben, die Europäer. Dieser hier, so zumindest hat Musa ihn verstanden, behauptet, Kurdistan Nibbur zu heißen und aus Deutschland zu kommen. Diese absurde Lüge glaubt er ihm natürlich nicht.

„Man sollte sich nichts in arabische Leben verflechten. Man sollte nur observieren und messen und rechnen, die Koordinaten der heiligen Schrift abstecken und zusehen, dass man nicht den Durchfall bekam.“

S. 33

Als Niebuhr wieder auf eigenen Beinen stehen kann, ist sein Schiff längst weg, ebenso das von Musa. So bleibt den beiden Männern nichts, als zu warten. Sie richten ein Lager ein in der Tempelruine, die von steinernen Göttern, zitternden Schatten und lärmenden Affen bewohnt wird und werden in den nächsten Tagen fast so etwas wie Freunde, auch wenn sie Mühe haben, eine gemeinsame Sprache zu finden. Sie beide begeistern sich für Fernrohre, Teleskope, Astrolabien, für Sternbilder, Winkel und Höhenmessungen. Sie streiten über Glauben, Götter und Sprachen und stellen fest, dass sie nicht einmal den gleichen Sternenhimmel sehen. Der weltgewandte Musa erzählt ausgedachte Geschichten, der treu-naive und völlig erledigte Niebuhr nichts als die Wahrheit, immer noch dem Fieberwahn näher als der Realität.

Christine Wunnicke erzählt von kulturellen Differenzen, internationalen Missverständnissen und dem daraus resultierenden Blick auf „die Anderen“. Während Carsten Niebuhr staunend durch eine ihm fremde Welt torkelt, wohl auch dem Umstand geschuldet, dass er öfter krank als gesund ist, fühlt Musa sich dem zotteligen Europäer weit überlegen. Er mag kaum glauben, dass diese immer verschwitzten, ständig fiebernden Halbwilden Präzisionsinstrumente zur Vermessung der Welt bauen können. Dass dieser Kurdistan Nibbur, dem das Schicksal ihm vor die Füße hat sinken lassen, zu Hause in Alemanya ein angesehener und geachteter Wissenschaftler sein soll, ist für ihn ziemlich unvorstellbar.

Der Roman dreht den Blick von West nach Ost ein wenig und es gelingt der Autorin, auf sehr unterhaltsame und kluge Art die wahrgenommene kulturelle Überlegenheit europäischer Wissenschaftler zu dekonstruieren. Gerettet werden die beiden am Ende übrigens zu Musas Schande von Europäern, noch dazu ziemlich unbeholfenen Vertretern des Königreichs. Der Subkontinent wird sie vorerst nicht mehr loswerden.

Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand.
btb 2022, 165 Seiten.

978-3-442-77130-1

Erstausgabe Berenberg 2020.


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