Der westliche Nabel der Welt – „Weltliteratur“ von Gerrit Wustmann

Was macht Weltliteratur eigentlich aus? Wer bestimmt, welche Literatur von Weltrang ist und welche übersehen wird? Diesen Fragen widmet sich der Orientalist Gerrit Wustmann in Weltliteratur und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Wer „Weltliteratur“ sagt, meint fast immer „Westliteratur“.

Auf den Bestsellerlisten und auch auf den Empfehlungslisten, die von Gremien oder Einzelpersonen immer wieder stolz präsentiert werden, sieht man vor allem Literatur aus Europa und Nordamerika. Nur selten findet sich dort ein Werk aus der Türkei oder einem arabischen Land und auch große Teile des afrikanischen Kontinents sind literarische terra incognita. Kulturell nimmt der Westen diese Länder nicht ernst, so der Vorwurf Wustmanns. Dabei hat man es eigentlich so leicht wie nie. Nie zuvor war die Kommunikation über Grenzen hinweg so einfach, nie der Zugang zu anderen Kulturen und ihren Literaturen so leicht. Goethe, der den Begriff der Weltliteratur geprägt hat, konnte davon nur träumen. Doch die meisten Verlage scheuen das Risiko, teure Übersetzungen aus selten angefragten Sprachen zu beauftragen und dann möglicherweise palettenweise Unverkäufliches in den Schredder zu werfen. Da setzt man lieber auf eine sichere Bank: rund 80 – 90% der Übersetzungen auf dem deutschen Buchmarkt stammen aus europäischen Sprachen, 60% allein aus dem Englischen.

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Weltliteratur auf dem Teller – „Frisch auf den Tisch“ von Hildegard Keller und Christof Burkhard

Über das Essen und einen Teil des schriftstellerischen Werks erfahrbar zu machen und das Leseerlebnis ins Hier und Jetzt zu transportieren, ist der nicht geringe Anspruch von Hildegard Keller und Christof Burkard. Das Schweizer Ehepaar veröffentlicht seine Kolumne regelmäßig in der Schweizer Zeitschrift „Literarischer Monat“ und gesammelt auch in Büchern, von denen Frisch auf den Tisch – Weltliteratur in Leckerbissen schon das zweite ist.

Hildegard Keller ist Literaturwissenschaftlerin und dürfte vielen unter anderem aus der Jury des Bachmannpreises bekannt sein. Ihre Aufgabe bei diesem Projekt ist es, im Werk von Autor*innen geeignete Stellen und kulinarische Assoziationen zu finden und zudem zu illustrieren. Christof Burkard, Jurist, Kulinariker und Rezepte-Erfinder, kümmert sich um die praktische Umsetzung der vielversprechenden Fundstellen.

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Das Ergebnis sind phantasie- und einfallsreiche Zusammenstellungen, die im aufwendig gestalteten Buch gut zur Geltung kommen. Etliche der elf vertreten Schreibenden, unter ihnen beispielsweise Herman Melville, Hannah Arendt oder Max Frisch sind sehr bekannt, andere wie Alfonsina Storni sind sicher in weniger Bücherregalen vertreten. Sie alle werden in einem kurzen Porträt ihrer selbst und ihres Werks vorgestellt und in freigestellten Zitaten und Illustrationen ausgeschmückt.

„Profiteroles sind Poesie pur und werden nicht ganz angstfrei hergestellt. Man kann an ihnen scheitern.“

Keller und Burkard kochen nicht nur nach, was in Texten serviert wird, sondern betrachten ganze Werke und ihre Urheber*innen. So gibt es einen herzhaften Kuchen mit Schweizer Zutaten für Schweiz-Fan Rosa Luxemburg, die so sehr an der gerechten Verteilung desselben interessiert war und Ravioli, „Architektur für den Teller“ für Max Frisch.  Alle diese Gerichte machen Lust auf’s Ausprobieren (Malfatti! Warum habe ich die noch nie gemacht?), sind allerdings nicht in gewohnter Rezeptbuch-Manier geschrieben, so dass ein Nachkochen für Anfänger*innen mitunter schwer werden könnte. Eine gewisse Grundkenntnis und Erfahrung sollte man schon mitbringen. Doch auch bei fehlender Koch-Ambition liest sich der kleine Band sehr unterhaltsam und interessant.


Hildegard Keller und Christof Burkard: Frisch auf den Tisch. Weltliteratur in Leckerbissen. Edition Maulhelden 2020. 139 Seiten.

Einige der Texte sind auch auf der Website der Herausgeber zu finden: maulhelden.ch.

Das Zitat stammt von S. 37.

Ich danke der Autorin und Herausgeberin für das Leseexemplar.