„Lan, wie geht’s? Lass mal Späti treffen!“
Gemäß des Untertitels untersucht Diana Marossek in diesem Buch „Warum wir reden, wie wir neuerdings reden“. Über dieses Thema hat sie 2013 an der TU Berlin promoviert, damals noch mit dem Titel „Gehst du Bahnhof oder bist du mit Auto?“ Wie aus einem sozialen Stil Berliner Umgangssprache wird: Eine Studie zur Ist-Situation an Berliner Schulen 2009 – 2010.
Sie untersucht darin einen Soziolekt, den sie als „Kurzdeutsch“ bezeichnet, da eines der hervorstechenden Merkmale ist, dass die Sprechenden Kontraktionen wie ins, am, beim vermeiden. Aus Ich gehe ins Schwimmbad wird also Ich geh Schwimmbad. Diesen Soziolekt untersucht sie, da es sich vor allem um ein jugendsprachliches Phänomen handelt, an Schulen in verschiedenen Berliner Bezirken und stellt ihre Ergebnisse in diesem Buch vor. Kurzdeutsch zeichnet sich aber Marossek zufolge nicht nur durch das Auslassen von Kontraktionen aus, sondern auch durch das Auslassen von bestimmten Artikeln bzw. das Ersetzen dieser durch den „Kurzartikel“ d‘. Darüber hinaus findet sie in dieser Varietät aber auch rituelle Beschimpfungen, die keinesfalls der Beleidigung dienen, sondern vielmehr dem Ausdruck von Zugehörigkeit und Respekt, eine besondere, „harte“ Attitüde und eine Satzmelodie die vom Standarddeutschen abweichen kann. Und gerade weil das Kurzdeutsche all diese Aspekte umfasst, finde ich den Begriff auch schwierig, da er zu wenig greift – dieser Soziolekt umfasst eben eine Menge mehr Phänomene als nur eine Verkürzung an bestimmten Stellen. Aber immerhin nennt sie es Kurzdeutsch, am Beginn des Buchs erzählt sie, dass sie eigentlich über „Türkendeutsch“ schreiben wollte.
Überhaupt wird für ein Sachbuch ganz schön viel erzählt. Die Autorin berichtet von einem Dialog, den sie in einer Bibliothek gehört hat, nicht aber ohne vorher zu beschreiben, wie Raum (Spanplatte mit Birkenfurnier) und Bibliothekarin (Petra) aussehen. Wir lernen auch, dass sie in dieser Bibliothek war, weil sie nach dem Genuss von 1,5 Liter Apfelschorle eine Toilette brauchte. Auf ihrem Balkon pflanzt sie Kohlrabi und Geranien, Kaffee trinken geht sie mit Sarah. Diese Ausführlichkeit habe ich mir an anderen Stellen sehnlichst gewünscht – beispielsweise auf der leeren Seite, an deren Stelle ich ein Literaturverzeichnis erwartet hätte, das fällt nämlich gleich komplett weg. Einige Phänomene werden nur so knapp erläutert, dass sie für LeserInnen ohne Vorkenntnisse meiner Einschätzung nach verwirrend sein dürften. Auch wird nicht die Signifikanz aller angeführten Beispiele deutlich, da sie jeweils nur mit einigen Sätzen erklärt werden. Insgesamt wird das Konzept Kurzdeutsch nicht als schlüssiges Gesamtbild dargestellt, die einzelnen Aspekte bleiben zusammenhanglos und teils unklar, da oft definitive Angaben fehlen. Eine Angabe wie „eine überschaubare Zahl von Sprechern“ ist eben sehr schwammig und macht es unmöglich, sich ein detailliertes Bild des Untersuchungsgegenstands zu machen. Zumindest eine begründete Schätzung wäre da hilfreich, ideal wäre natürlich eine valide Zählung.
Das Thema Sprachwandel finde ich hochinteressant und ich freue mich über jedes Buch, das zwischen dem ganzen Sick’schen Kulturpessimismus positiv zu dem Thema steht. Leider ist dieses hier sehr oberflächlich und einige Erklärungen so vereinfacht, dass sie an falsch grenzen. Allen, die sich für das Thema interessieren, sei Heike Wieses Kiezdeutsch, erschienen 2012 bei C.H. Beck ans Herz gelegt, das eine ausführliche und nachvollziehbar erläuterte Studie zu einem etwas anders definierten Soziolekt vorlegt.
Zudem findet sich auf der Website der Autorin kurzdeutsch.de ein Link zu Marosseks Doktorarbeit sowie eine Leseprobe.
Diana Marossek: Kommst du Bahnhof oder hast du Auto? Warum wir reden, wie wir neuerdings reden. Hanser Berlin 2016. 157 Seiten, € 15,90.
Das Zitat stammt von S. 103